Donnerstag, 15. Mai 2014

Glaubensfragen

Seit die riesige Baumaschine auf der Baustelle unten den Eingang zur Hauptgasse versperrt, muss jeder, der von unten nach oben will oder umgekehrt aus oder in die Parallel-Gasse diagonal über unsere Piazza hinüber wechseln. Wenn wir vor der Haustür sitzen, fühlen sich die Passanten daher - ob altbekannt oder gar gänzlich fremd -  quasi genötigt, ein kurzes oder längeres Schwätzchen mit der "Zweitbesten" und mir zu halten:

Meist geht es um tagesaktuelle Themen wie die ausgesperrten Mauersegler, die abgerutschte Straße zum Nachbarort, den aktuellen Baulärm mit der Staubbelästigung oder schlicht um Nachbarschafts-Klatsch. Das ist eine wichtige Quelle für den immerwährenden Versuch meiner Frau, bei den komplizierten Familien-Verflechtungen hier oben halbwegs durch zu blicken...

Nicht selten aber geht es hier im Borgo mit den vier Kirchlein für etwa fünfzig permanente Bewohner auch um Fragen des Glaubens. Die meisten sind ja wie wir mit zunehmend nachlassendem Tempo auf der Zielgeraden des Lebens unterwegs.

Gestern also geschah folgendes: Nach dem Feierabend der Bauarbeiter,  und gerade als wir die nun einsetzende, himmlische Ruhe genießen wollten, kamen zwei Männer aus der Seitengasse, grüßten freundlich und klingelten, beziehungsweise klopften beim Hotelier aus Rom und den Musik-Professoren aus Turin. Sie sahen irgendwie offiziell aus und hielten auch Schriftstücke in ihren Händen. Weshalb ich ihnen erklärte, dass unser Dorf erst in ein paar Wochen nach dem Beginn der Schulferien Anfang Juni wieder zum Leben erwache. Das war ein Fehler. Denn nun erkoren die beiden Gentlemen in unserem Alter uns als Gesprächspartner.

Über Gemeinplätze ging es freundlich aber bestimmt zur Genesis, und da war uns auf einmal klar: Auch in Italien gibt es "Zeugen Jehovas". Mit unserer üblichen Masche, dem Hinweis auf meine streng katholische Frau und meinen hartnäckigen Agnostizismus, nahmen wir ihnen jede Lust auf Bekehrungsversuche. Nach dem weiteren Austausch von Höflichkeiten empfahlen sie sich weiter nach oben - also die Gasse hinauf zum oberen Dorfrand.

Kaum waren sie - ein wenig in der Orientierung gestört - unter den Torbögen verschwunden, eilte unsere Seelenfängerin über die Piazza. Sichtbar in Eile, weil sie unserem Pfarrer unten in San Giovanni beim Nachmittagsgottesdienst zur Hand gehen wollte. Natürlich konnte ich mir nicht verkneifen, ihr zu sagen, dass die Konkurrenz unterwegs sei. Was ihr immer freundliches, mildes und bis ins Alter bewahrtes Mädchenlächeln gefrieren ließ, als sei sie direkt auf dem Abstieg zum Belzebub.

"Die verleugnen ja unsere Mutter Gottes. Ohne unsere Jungfrau Maria gibt es doch gar keinen Glauben", stellte sie klar und hastete weiter. 

Seit anderthalb Jahrzehnten kabbel ich mich mit Signora Electra im gegenseitigen Respekt. Als ehemalige Lehrerin weiß sie genau, was ich für ein ungezogener Bursche bin, lässt sich aber immer gerne auf Fragen des Glaubens ein. Sie ist weiterhin eine glühende Anhängerin von Ratzinger beziehungsweise Benedetto Secondo, den sie immer im Hinblick auf seine, unsere Herkunft "euren Papst" nennt. Ich mache mir dann den Spaß, dass ich gespielt erstaunt nachfrage, ob denn der Emeritierte nicht der Papst aller Katholiken gewesen sei. Und wenn ich dann noch nachlege, dass Francesco ja vor allem auch eine große Hoffnung für Niichtgläubige wie mich sei, dann entfacht das bei ihr Eifer und Leidenschaft.

Um ehrlich zu sein: Bei  mir entfacht solche Gläubigkeit, so ein Einsatz für den Glauben tatsächlich einen gewissen Neid. Mein Respekt - auch solchen älteren Herren gegenüber, die sich hier herauf bemühen, um ihre aussichtslosen Bekehrungsversuche zu unternehmen - schwindet aber ganz schnell, wenn ich an alle Exzesse der Gewalt im Namen unterschiedlichster Religionsauffassungen denke...

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