Donnerstag, 22. Mai 2014

Fehlender Frühling

Kaum zu glauben. In einer Woche soll meteorologischer Sommeranfang sein. Ist schon gut, dass wir das aus dem Internet erfahren denn an den Verhältnissen draußen gibt es überhaupt keine Anhaltspunkte mehr, welche Jahreszeit gerade angesagt ist. Während ich dies hier schreibe, um späte Frühlingsgefühle zu wecken, pfeift ein Tramontana mit gut sieben Beaufort durch die Gassen der Burg. Auf den Gipfeln der Bergkette, die wir von uns aus sehen, hat es wieder frisch geschneit. Immer deutlicher wird, dass dieser von  Gott so gesegnete Landstrich im Klimawandel angekommen ist. 

Gestern vor unserem Markt-Gang hat die Schwägerin aus München angerufen. Sie berichtete von annähernd 30 Grad schon am Vormittag, während wir ernsthaft überlegen mussten, wie wir uns anziehen. Zwiebelprinzip ist angesagt. Immer eine warme Windjacke dabei - das hat es in all den Jahren zu diesem Datum noch nie gegeben. Denn kaum ist die bereits sengende Sonne weg, wird es einem selbst im Libecco kalt, weil den die immer noch sehr niedrigen Wasser-Temperaturen bei seinem langen Weg über das Mittelmeer eher runter kühlen als aufwärmen...

Genauso schwer wie wir konnte sich wohl auch die Natur einstellen. Signora Electra, die uns gerne mit allerlei Frischem aus dem Garten ihres Neffen versorgt, kam mit einem Haufen knallroter und praller Kirschen über die Piazza. Was war das für eine Enttäuschung, als ich sie dann probierte! Absolut geschmacksneutral! Vielleicht zaubert die "Zweitbeste" ja mit viel braunem Zucker und langem Einkochen noch eine halbwegs akzeptable Konfitüre draus.

Es ist unter dem Motto "fehlender Frühling", selbst wenn es in einem kaum gelesenen Blog wie diesem geschieht, endlich an der Zeit einer Person ein literarisches Denkmal zu setzen, die es bislang immer verstand, das Blut ihrer männlichen Kunden in Wallung zu bringen: Unserer "Markt-Schlampe"

Dass meine Frau und ich sie nicht böse, sondern anerkennend  so nennen, hat mit ein wenig Eifersucht ihrerseits und meinen unkeuschen Gedanken anderseits zu tun. Seit wir hier sind, kaufen wir Obst und Gemüse meist nur bei ihr. Sie ist keine 160 cm hoch, bildhübsch, schwarzlockig, kohleäugig und lässt ihrem Temperament  mit immer ungezügelter Koketterie freien Lauf. Ihr Mann - allenfalls zwei Zentimeter höher und deutlich älter - lässt sie mit der finsteren Miene eines Wald-Schrats gewähren, denn er weiß, dass sie die Seele vom Geschäft ist. Selbst wenn du schon längst mehr eingekauft hast, als du wolltest, bringt sie noch irgend eines ihrer Produkte an den Mann. Wenn notwendig auch mit vollem Körper-Einsatz. Einst bei Gluthitze - nur mit einem Träger-Hemdchen unter ihrer kaum verhüllenden Markt-Schürze - reichte sie mir sacht zwischen Zeigefinger und Daumen mit einem vieldeutigen Augenzwinkern eine Himbeere: Vuoi provare i mei lamponi?
- Habe ich die halt auch noch gekauft!

Aber gestern war dann doch alles anders. Nicht etwa weil die lange Zeit unserer Geschäftsbeziehungen bei ihr Spuren hinterlassen hätte, sondern weil der fehlende Frühling sich auch auf ihr Angebot ausgewirkt hat. Die kleinen Frühjahrs-Artischocken, die man mit Stupf und Stil nur von ihren Stacheln befreit in Olivenöl und Knoblauch brät? 
"Non c'è! Die schmecken nach nichts, deshalb haben wir sie nicht im Angebot." 

Ihre Kirschen schmeckten auch nicht intensiver als die von Signora Electra.  Die sauteuren Erdbeeren gingen einigermaßen, aber die kamen auch aus dem Gewächshaus. Da, wo sonst Früh-Gemüse das Angebot beherrschte, lag nun überwiegend  Importiertes. Kein Wunder, dass der fehlende Frühling da auch ein paar Schatten auf dem sonnigen Gemüt unserer Markt-Kokotte hinterlassen hatte...

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