Freitag, 23. Mai 2014

Die Sklaven vom Hafen

Die Europa-Wahlen haben begonnen. Morgen wissen wir mehr, aber werden wir dadurch gescheiter? Ehrlich, ich bewundere alle, die sich da in meinem Alter zur Wahl stellen und glauben, sie könnten noch etwas bewegen. So lange die Welt von Emotionen und nicht von nüchternen Überlegungen gesteuert wird, neigt die Geschichte dazu,  sich zu wiederholen.

Wie konnten wir erwarten, dass sich die Vereinigten Staaten von Europa mit weniger Geburtswehen zusammenfügen lassen als die USA? Die - um zur stärksten Demokratie der Welt zu werden - durch Gemetzel und damit verbundene Blutbäder mussten, die unterschiedlich denkende, eigene Staatsbürger gegenseitig an sich verübten. Von Generation zu Generation weiter gereichte Wunden übrigens, die wenn man genau hinsieht, auch nach anderthalb Jahrhunderten nicht gänzlich verheilt sind...

Nur wenn wir Glück haben, werden die "USE" schneller und weniger blutig vereint als ihr Vorbild in Übersee, denn die Geburtswehen ähneln sich. Während überall auf der Welt Despoten für eine Renaissance der Diktatur sorgen, macht sich eine Minderheit auf,  für die demokratische Zukunft eines Staaten-Konglomerats zu stimmen, das im Wahlkampf gegen mehr Vorurteile zu kämpfen hatte, als sich dessen Segnungen bewusst zu werden. Vermutlich wird es in Europa eine Wahlbeteiligung geben, die unter der der größten Demokratie der Welt liegen wird. Indien hat ja gerade erfolgreich Demokratie ausgeübt und mit dem Stimmzettel einen Politik-Wechsel ohne Blutvergießen herbei geführt.

Was Liberty enlightening the World und Ellis Island damals bei der Einfahrt nach New York für die Auswanderer Europas waren, sind Lampedusa, Malta sowie die Gestade Griechenlands und Andalusiens für die heute Hoffnung Suchenden Afrikas. Deren Integration ist nicht weniger schmerzhaft, obwohl wir nach zwei verheerenden Weltkriegen humanistisch eigentlich weiter sein sollten.

Der französische Historiker Alexis de Toqueville hatte bei seiner Auftrags-Forschungsreise durch die USA um 1820 neben anderen Gefahren für die Demokratie vor allem die Allgewalt des Staates als Einschränkung der freien bürgerlichen Entfaltung entdeckt. Aber zwei andere Fakten musste er aufgrund der damaligen Betrachtungsweise übersehen: Die Sklaverei und die dort erst  100 Jahre später vollzogene Gleichberechtigung der Frau. (Die übrigens in der gestern 65 Jahre alt gewordenen Verfassung der Bundesrepublik nach Kampf mit harten Bandagen erst 1949 verbindlich und im BGB nur nach und nach  bis hinein in unsere Tage vollzogen wurde...) Das also, was wir heute als "schon immer da gewesene" Selbstverständlichkeit betrachten, hat auch seine Zeit gebraucht.

Für Europa wird es eben  keine schnellen Lösungen und danach nur Segnungen geben. Erinnert sich einer noch an die Boatpeople nach dem Vietnam-Krieg? Die Vietnamesen, die damals wie selbstverständlich aufgenommen wurden, sind längst derart integriert, dass sie in ihren neuen Heimatländern Minister oder Olympia-Sieger werden konnten Wieso tun wir uns dann als Europäer mit den Schwarz-Afrikanern und arabischen Moslems so schwer? Die Nachrichten-Welt ist eine andere geworden. Sie ist tagesaktuell, und deshalb nehmen wir das, was wir aus Afrika und Arabien sehen, als Bedrohung für uns auf. So wie die Emigranten durch Fernsehen den Eindruck gewonnen haben, dass in Europa nur Milch und Honig fließen.

Wie sollen die denn ahnen, dass wenn sie es überhaupt lebend schaffen, ein tristes Lagerleben fristen oder in eine Untergrund-Sklaverei geraten, die hier in Italien so evident ist und deshalb eine immer größere Wut der Bürger entfacht.  38.000 Afrikaner  waren es hier in Italien allein  schon in diesem Jahr. Am Hafen in Imperia kann keiner mehr in Ruhe seinen Espresso trinken, ohne nicht alle zwei Minuten von einem Schirm-Verkäufer, Spielzeug-Dealer oder direkt Bettelnden mit zunehmender Aggressivität angegangen zu werden Das macht auch mich wütend und ich reagiere immer öfter genau so angreiferisch. Aber letztlich weiß ich, dass das die Falschen trifft. Denn die, die ich angreife, arbeiten längst ausgeliefert als Sklaven für Auftraggeber, die Arbeitsvergabe zu Hungerlöhnen als lukratives Geschäftsfeld mit enormer Gewinnspanne für sich entdeckt haben.

Kürzlich sprach mich am Hafen ein Nigerianer in überraschend gutem Deutsch an, das er gelernt hatte, bevor er von der Bundesrepublik mit samt seiner Frau und zwei Kindern abgeschoben worden war. Wie er es dann wieder nach Italien geschafft hat, verriet er nicht. Allerdings schwärmte er davon, dass er in Deutschland, das mit 126.000 Asylanträgen die europäische Rangliste anführt, eine ordentliche Wohnung und genug zu Essen für seine Familie gehabt hätte.

Für die wohl nicht mehr zu stoppende  Zuwanderung und die dann zwingend erforderliche Integration gibt es nur eine gemeinsame europäische Lösung, die von allen zu möglichst paritätischen Anteilen gleichermaßen geschultert werden muss. Deshalb sollte unbedingt europäische Demokratie ausgeübt und eindeutig gewählt werden, selbst wenn unsereiner weiß, dass er eine tatsächliche Verbesserung der Verhältnisse nicht mehr erleben wird...

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