Freitag, 31. Mai 2013

Die "Muschi von der Venus"

Es gibt schrecklich peinliche Geschichten aus der Kindheit, die bei anderen vielleicht in Vergessenheit geraten, aber einen selbst noch bis ins Erwachsenenalter verfolgen. Manch Burgbriefe-Leser erinnert sich vielleicht daran, dass ich bis weit ins Volksschul-Alter sehr häufig an der Riviera war, weil da die Studienfreundinnen meines Vaters lebten. Der Grundstein für meine Liebe zum guten Essen  und Kochen wurde bei diesen Aufenthalten gelegt, weil Mahlzeiten "avec les tantes" immer große Opern waren, und schon deren Zubereitung von ihnen für uns Kinder als Gesellschaftsspiel inszeniert wurde. Ich weiß noch wie stolz ich war, als ich den beiden Letztverbliebenen als Spät-Teen einmal ein Ratatouille zubereitet hatte, das ihre höchste Anerkennung fand. Das war gewissermaßen der Ritterschlag für mein Kochen.

Doch bis dahin gab es manchen Fauxpas:
Mitunter sind wir auch mal alle in Restaurants gegangen. Dann waren wir bis zu zwanzig Personen, und damit wir Geld sparten, sind wir auch hinüber nach Italien, um im Hinterland damals schon diese typischen ligurischen Menü-Schlachten zu schlagen. Borowski, ein Hausfreund der Tanten, Pole und seit Kriegsende leidenschaftlicher Franzose fuhr mit seinem Katzenbuckel-Peugeot vor uns her und betätigte bei jeder scharfen Kurve in den Bergen den  Winker-Zeiger, weil er meinen Vater am Lenkrad unseres VW-Käfers, der auch noch Winker hatte, offenbar für einen automobilen Volltrottel hielt. Weil diese Art vor Kurven zu warnen, unter dem Namen des  liebenswerten Polen später in unserer Familie zu einer Art geflügeltem Wort wurde, erinnere ich mich auch noch so gut an das, was beim Essen folgte.

Da stand in der Speise-Reihenfolge, die ich gerade mal mitzählen konnte, plötzlich eine Portion Spaghetti vor mir, in der sich statt dem üblichen Ragú merkwürdige Teile befanden, die wie Schmetterlinge aussahen. Ich fragte meine Lieblingstante Marguerite, die bei mir saß und als einst gebürtige Elsässerin noch ein wenig Deutsch sprach, was das denn sei.

Sie antwortete im wahrsten Sinne des  Wortes "akzentuiert" aber leise: "Sind Muschi von der Venus."
Jedenfalls verstand ich das so. Ich krähte so laut, das es über den Lärm alle Tische hören konnten: "Muschi von der Venus???" Außer unserer Familie waren auch andere Deutsche im Restaurant, denen zum Teil -  obwohl die Zeiten da wohl noch sehr prüde waren - lachend und prustend die Nudeln aus dem Mund flogen.
Da ich das als humoristischen Erfolg wertete, wiederholte ich das laut so lange, bis mich meine älteren Schwestern aus dem Verkehr zogen, um mir meine Schande drastisch zu verdeutlichen. Sie waren ja neun beziehungsweise sechs Jahre weiter...

Jedenfalls dauerte es eine Zeit bis ich Venusmuscheln mochte, und dann traf ich bald ein Mädchen, dass ich erst zu Fisch und Meeresfrüchten  bekehren musste, die dann aber Spaghetti alle Vongole zu  einem ihrer Lieblingsessen erkor.

Wo immer ein italienisches Restaurant vor der "Zweitbesten" bestehen möchte, wird es von ihr dem Spaghetti-alle-Vogole-Test unterzogen. Das hat sie nun mindestens einmal rund um den Stiefel hinter sich, und sie kann sich bis heute an besonders gelungene Portionen an Orten erinnern, die sie andernfalls längst vergessen hätte. Mit meiner Simpel-Methode gegen so eine Fülle an Erkenntnissen anzutreten, ist also ein Wagnis gewesen. Ich habe dennoch bestanden. Also wage ich es auch, sie jetzt zu veröffentlichen:


Spaghettini alle Vongole veraci:

Zutaten:

Für vier Personen als Primo: 500g Spaghettini (6Min. Kochzeit), 1000g-Netz Vongole Veraci vom Fachhändler mit Gütesiegel, je eine Handvoll Petersilie und Basilikum, drei kleine (wenn es geht frische) Peperoncini, drei große Zehen frischen Knoblauch, einen gehäuften Teelöffel braunen Zucker, einen gestrichenen Esslöffel groben Meersalzes, 0,25l vom Wein, der zum Essen gereicht wird und 0,1l Olio Extra Vergine.


Zubereitung:

Für meine Methode ist ein Wok oder eine Wok-Pfanne unerlässlich, weil nur so sicher ist, dass keine Reste vom Sand in die Mahlzeit gelangen. Zunächst Spaghettini in moderat gesalzenes, kochendes Wasser geben und sie zwei Minuten kürzer garen, als auf der Packung angegeben. Dann gut abgießen, aber die Pasta in etwas Restwasser neben den Wok stellen. Im Wok, die Hälfte des abgemessenen Öls erhitzen und die vorher im Mörser mit dem Zucker, dem Salz und den Peperoncini zerriebenen  Knoblauchzehen gemeinsam mit den zerhackten Kräutern kurz  anfrittieren und dann richtig zischend die  kurz gespülten  Vongole hinzugeben. Warten bis alle Muscheln sich geöffnet haben und dann den Wein in Kreisen hinzugeben. Er soll noch einmal dafür sorgen, dass möglicher Sand aus dem Muschelfleisch gespült wird. Das Ganze blasig unter ständigem Wenden köcheln lassen, bis sich am Wokboden reichlich Flüssigkeit gesammelt hat. Diese mit einer flachen Kelle gründlich abschöpfen und in einem Gefäß bereithalten, damit  sie sich setzten kann. Nun die vorgegarten Spaghettini unter die Muscheln heben und unter vorsichtigem Zugeben des Suds alles noch einmal bis zum Stadium al dente garen lassen. Zum Anrichten die zweite Hälfte vom Öl drüber, und fertig! 
Wenn man bedenkt, dass selbst in mittelprächtigen Restaurants eine Portion mit einer meist überschaubaren Menge Vongole so um die 12 Euro kostet, können da bei einem viertelstündigen Aufwand daheim vier Leute für die gleiche Summe regelrecht in  den Schalentieren schwelgen.

Buon appetito!


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