Sonntag, 19. Mai 2013

Das Ende der Neidgefühle

Für die, die nicht längere Zeit hier leben, ist es vermutlich beängstigend. Was der Himmel derzeit mit uns anstellt, findet auch in den Wetter-Annalen Nord-Italiens nichts Vergleichbares. Die Meteorologen sprechen hier vom regenreichsten Frühling seit Beginn ihrer Aufzeichnungen. Allenthalben treten die Flüsse über ihre Ufer. Auch der Impero 500 Meter unter uns ist so voll und reißend, dass wir Nachts in den Pausen des trommelnden Regens von seinem Rauschen in den Schlaf gelullt würden. Aber diese Pausen werden auch von anderen Geräuschen überlagert. Die "Nächte der rollenden Koffer" haben begonnen. Es ist ja Pfingsten, und da füllt sich unser Borgo nach und nach mit den Residenten und jenen, die sich zum Stillen ihrer Sehnsüchte nach besserem Wetter hier ein Häuschen oder eine Wohnung für die Ferien gemietet haben.

Gestern am Hafen saßen schon einige vorausgereiste Familien bei Dauerregen und Kälte unter den Arkaden im Freien und zitterten sich Pasta und Pizze zwischen ihre blau gefrorenen Lippen. - Hallo, wir sind in Italien, da wird draußen gespachtelt! Das gehört eben  zu den Vorstellungen von den "Italienischen Momenten". Die Oldtimer der Sanremo-Classic-Rallye zogen bei ihrem Corso durch unsere Stadt erstmals seit Jahren Wasser-Fontänen  hinter sich her, was immerhin ein spannender Anblick war.

Es hat wirklich nichts mit Arroganz zu tun, wenn die "Zweitbeste" und ich nicht wirklich unter diesen Wetter-Bedingungen leiden; abgesehen vom Lichtmangel natürlich. Wir werden ja von Jahr zu Jahr bescheidener - was unsere Operationsradien anbelangt. So überkommt uns beim Stubenhocken wenigstens kein schlechtes Gewissen ob unserer Untätigkeit, die ja auch nicht wirklich eine ist. Denn endlich kommt man im Haus zu Reparaturen und sonstigen Dingen, die bei schönerem Wetter auf die lange Bank geschoben werden... Oder ich schreibe einen Burgbrief vom schlechten Wetter und justament kommt die Sonne heraus, aber erzeugt keine Wärme.

Da wir im septemberhaften Dezember hier waren, kommt bei mir langsam der Gedanke auf, das Wetter habe sich heuer um einen Monat verschoben. Also wäre das jetzt der April, und im Juni erleben wir hier unseren gewohnten Wonnemonat Mai... Das Alter hat schon seine Vorteile: Wir können abwarten. Was habe ich mich aber früher geärgert, wenn ich mit der Familie unterwegs war und viel Geld für Tage im Regen mit unterbeschäftigten Kindern ausgegeben habe.

In diesem Schein-Frühjahr kommt aber noch ein wichtiger Faktor hinzu. Ich muss bei Anrufen von Verwandtschaft und Freunden aus dem heimischen Sauwetter kein schlechtes Gewissen mehr haben, dass  es hier immer so gutes Wetter gibt:

Die Familien-Koordinatorin Tante B. weilte in Hamburg bei bis zu 24 Grad, meine mittlerweile erwachsenen Kinder haben Rad-Ausflüge bei über 20 Grad in München gemacht, während wir hier die Heizung anwerfen mussten. Für die Hartnäckigen, die es trotz Internet  nicht glauben wollten, brauchte ich ja nur die Web-Cam aus dem Fenster zu halten.

Das war dann das Ende jeglicher Neidgefühle!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen