Dienstag, 21. Mai 2013

Signale aus der wahren Welt

Oft schon habe ich das Leben hier auf der Burg  mit Thomas Manns literarischer Architektur des Zauberbergs verglichen: Wohlhabende, kranke oder eingebildet kranke Menschen leben in einem fremden Land auf einem Berg und entrücken so der einen oder anderen Realität des Alltags, bevor die hinterm Horizont der Geschichte lauernde Katastrophe eintritt. Thomas Manns Ahnungen von dem, was der Welt widerfahren wird, transportiert seine Romanfigur Mijnheer van Peeperkorn bereits 1924 in einem erschütternden Monolog...

Sein tragisches Erstaunen während einer Deutschlandreise anlässlich der Olympischen Speile 1936 verarbeitete zeitnaher der da 30jährige Amerikaner Thomas Wolfe in seiner Novelle Es führt kein Weg zurück. Das Literatur-Genie, Autor des zeitlosen Romans Schau heimwärts Engel, das zwei Jahre später an TBC starb, spricht die damals stetig wachsende Bedrohung gar nicht einmal explizit an. Er lässt sie beim Lesen zunehmend  entstehen.

Leider bin ich kein Literat, der seine Eindrücke derart  fiktional verbrämen könnte. Auch bin ich ja kein Journalist mehr, der recherchiert und den Dingen auf den Grund gehen könnte. Es gibt zwar Satelliten-Fernsehen sowie Internet. Aber persönlich bin ich nur Beobachter und vielleicht bisweilen ein zu sensibler Rezipient von Signalen. Ich nehme ungefiltert Gerüchte und Hörensagen auf, an denen ich kleine Veränderungen fest mache. Die Nabelschau als Blogger versetzt mich dabei allerdings in die vorteilhafte Lage, dass ich das Aufkeimen meiner Ängste nicht hinunterschlucken muss, sondern für mein Gewissen bewahren kann. Allein deshalb halte ich sie hier fest, und nicht um Stimmung zu machen!

An Pfingsten war Grillo in der Stadt. Ich bin nicht hingegangen. Mein Italienisch hätte bei seinem Rede-Tempo eh nicht ausgereicht, und das, was ich bislang unkommentiert von ihm gesehen oder gelesen habe, erinnert mich, was Dialektik, einstudierte Gestik und Krakelerei angeht, an Charly Chaplins Phantasie-Sprache in Der Große Diktator.

Im Gegensatz zum Kanzler-Kandidaten der SPD bin ich überzeugt, dass sich hier ein gefährlicher Populist zu einem möglicherweise unkontrollierbaren Machtrausch steigert. Die Rahmenbedingungen für eine derartige Entwicklung stimmen, und Peer Steinbrück wird seine Rede über die Clowns vermutlich noch einmal bitter bereuen.

Obwohl man es Italien in dieser vom Tourismus geprägten Region nicht auf den ersten Blick ansieht, gibt es auch hier Hinweise, dass meine Wahlheimat zunehmend am Stock geht. Öffentliche Bauvorhaben wie beispielsweise die Verlegung des Bahnhofes mitsamt der Bahnstrecke aus dem Zentrum haben sich extrem verlangsamt; wie auch  die Fertigstellung des protzig überproportionierten Yachthafens, den Zudem noch ein Problem mit kontaminierten Aufschüttungen plagt.

Nein, es sind eher die kleinen Signale aus der wahren Welt, die Hinweise geben. Wir waren nur vier Monate weg, und doch haben noch nie so viele Restaurants aufgegeben, ihre Besitzer oder die Öffnungsfrequenz gewechselt. Wie zum Hohn haben die Grillini ihren Informationsstand ausgerechnet vor unserem in Bestlage dicht gemachten Lieblingsmetzger gegenüber von San Giovanni inmitten der Fußgänger-Zone aufgestellt. Da bekommt das verballhornte Grilloni  (Name einer Grillwurst-Marke) der "Fünf-Sterne"-Gegner unmittelbar satirischen Tiefgang.

Petronella, meine Freundin und Nachbarin verblüffte mich einmal mehr mit ihrer nüchternen Betrachtungsweise scheinbar komplizierter Verhältnisse: "Die Grillini  in meinem Bekanntenkreis sind ja ausgerechnet die, die nichts zu Wege bringen und immer danach schreien, dass der Staat was für sie tun soll. Aber selbst arbeiten sie in merkwürdigen, oft familiär getarnten Beschäftigungsverhältnissen und zahlen keine Steuern. Jetzt liefert ihnen der Grillo auch noch diese Verweigerungshaltung als politisches Verhalten nach."

Es ist zur Zeit aber auch leicht, Verzweifelte in ein gefährliches politisches Fahrwasser zu lotsen. Unser junger Nachbar im Vorehestand, eine Art Verkaufsleiter in einem großen Baustoff-Handel, hat seit Monaten obwohl überall gebaut wird, kein Gehalt mehr bekommen. Im Einzelhandel werden viele in Minderbeschäftigungsverhältnisse gedrängt, was aber eher mit der Profitsucht ihrer Arbeitgeber als mit der Krise zu tun hat. In Ligurien sind agrarische und touristische Jobs aber auch oft saisonal, so dass der Arbeitsmarkt quasi schwer kontrollierbar wird.

Von zu Hause kommt immer öfter die Frage, wie es mit der viel zitierten Deutschenfeindlichkeit stünde. Wir spüren davon nichts. Beim Erwähnen unserer Kanzlerin allerdings ist die Reaktion  unisono, was mich ärgerlicher Weise als ihr Nichtwähler dazu zwingt, sie mit den mir zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln vehement zu verteidigen...


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