Sonntag, 5. Juni 2011

Vom Geist der Dinge

 Natürlich glaube ich weder an Geister oder Gespenster und an PSI schon gar nicht. Aber wenn ich ehrlich bin, nehme ich auch Ereignissen gegenüber, die ansonsten logisch nicht zu erklären wären eine ähnlich agnostische Haltung ein wie bei der Frage nach der Existenz von Göttern und den sie verehrenden Religionen...
Ich bin aber überzeugt, dass Dingen gewisse Einflüsse anhängen, die in unserer Vorstellungswelt Reaktionen auslösen. Wenn ich - um ein Beispiel zu geben - in unserem Wohnzimmer auf dem Sofa liege und die Balken über mir anschaue, die das längst nach modernen Gesichtspunkten renovierte Dach einst trugen, dann wandern meine Gedanken von Jahrhunderten in Jahrtausende.

Sollten die Professoren bei der jüngsten Kolumbus-Forschung recht behalten, dann ist der Entdecker um 1451 in der Gasse parallel zur unseren als Sohn eines Paares geboren worden, das Cousin und Cousine war. Unser Borgo gehörte damals zu Genua. Deshalb gilt er als Genuese, und seine genaue Herkunft wurde wohl  verschleiert, weil die Rechtmäßigkeit einer Ehe derart  naher Verwandter schon damals - als allerdings Päpste noch Schwestern heirateten - doch eher grenzwertig war.

Wir wissen wenig über unser Haus, dehalb kann da schon die Phantasie mit einem durchgehen. Es steht gegenüber der Burg im Zentrum, war also vermutlich schon da, als der kleine, spätereWeltumsegler noch in den Windeln lag...  Die mächtigen, unbearbeiteten Balken an unserer Zimmerdecke stammen von einheimischen Steineichen, die also einige hundert Jahre auf dem Buckel gehabt haben mussten, um so dick zu werden. Es könnte doch sein, dass sie Setzlinge waren, als die Sarazenen unten an der Küste im siebten Jahrhundert ihre Wehrtürme errichteten, von denen immer noch einige stehen und mir bei meinen Bootsfahrten als Landmarken dienen. - Ja,  und dann laufen gedanklich  kleine Abenteuerfilme ab, die bei Spaziergängen durch das Dorf ständig neue Nahrung erhalten. Da werde ich zum ewigen Kind. Eine von Nachbarn liebevoll restaurierte kleine Tür mit Eisengitter-Luke wird dann zum Burgverließ und lässt vermuten, wie klein die Bewohner damals noch waren... Klar gibt es auch bei uns Besucher, die sich fragen, was wir in diesem wackeligen, von Erdbebenankern zusammengehaltenen Steinhaufen zu suchen haben. Aber die meisten lassen sich auf dieses Spiel mit der Vergangenheit ein und staunen über ein Haus, das nicht quadratisch, sondern bei eingehender Betrachtung mandelförmig ist, und in dem man vergeblich nach einer geraden Mauer sucht.

Und wenn die  alten Geschichten gar nicht helfen, um Gäste in Stimmung zu bringen, dann packe ich halt die Gerüchte aus der jüngsten Vergangenheit aus. Als die Kindeskinder unserer Nachbarn in den Sechzigern und Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts noch halsbrecherisch auf den Dächern rumtobten, die Piazza ihr Bolzplatz und die Eingangstür unseres heutigen Hauses ihr Tor war, gehörte es einer Frau, die legendär "La Francesa" genannt wurde. Sie hatte als Köchin angeblich in den Diensten des monegassischen Fürstenhauses gestanden. Ihren Lebensabend verbrachte sie hier Karten spielend und Nationale Ketten rauchend. Und wenn sie wegen eines schlechten Blattes oder sonstwie üble Laune hatte, dann drohte sie schon mal, mit der Lupara aus dem Fenster den Kindern den Ball wegzuballern...

Als wir beim Ausbau der Cantina stapelweise (dem Fürsten entwendete?) Teller mit Goldrand fanden, sahen wir für uns die Vergangenheit der "Francesa" bestätigt. Uns kümmern die Geschichtchen - nicht die Geschichte. Schließlich sind wir ja keine Historiker. Und ob den Dingen gemäß dem Freiherrn Karl von Reichenbach tatsächlich ein "Od" zu einer sinnlichen Einflussnahme verhilft, ist dann auch schon egal.

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