Sonntag, 12. Juni 2011

Als die Polypen noch geprügelt wurden

Maremonti 2

Es gibt kulinarische Kindheitserlebnisse, die könnten leicht dazu führen, dass bestimmte Speisen ein Leben lang nicht mehr angerührt werden. Ein Bauer zum Beispiel, von einem Hof in der Nachbarschaft meiner Eltern, legte Wert darauf, dass seine Kinder von kleinauf beim Schlachten dabei waren, damit sie begriffen, woher das Fleisch auf dem Teller und die Wurst auf dem Brot kamen. Eine sinnvolle pädagogische Maßnahme  - wie ich heute finde. Dennoch habe ich auch als Erwachsener stets Reißaus genommen oder irgend eine wichtige andere Sache vorgeschoben, wenn er mich zur Hausschlachtung einlud. Die Wahl hatten seine zwei Buben und die Jüngste nicht.Der Älteste wurde überzeugter Vegetarier. Der zweite wurde Veterinär. Und die Schwester führt heute den Hof und die Tradition der Hauschlachtung im Beisein ihrer Kinder fort.

Wäre ich also als Kind  wirklich so zart besaitet gewesen wie als Erwachsener, müsste ich eigentlich heute um den in Ligurien so populären lauwarmen Polpo-Kartoffel-Salat einen riesigen Bogen machen. Genau das Gegenteil ist trotz meiner Urlaubserlebnisse als Knabe der Fall. Das Eintauchen in meine tiefenpsychologischen Untiefen erspare ich mir daher lieber...
In einer kleinen Steinstrandbucht am Cap Roux - ich muss wohl fünf gewesen sein - lagerte unweit unserer Familie Neptun höchst persönlich. Jedenfalls behauptete dies mein Vater, der jede Gelegenheit wahrnahm, uns an tauglichen Objekten und Subjekten die Welt mit einem Bildungsschlenker zu erklären. Tatsächlich gaben ihm später mythologische Abbildungen  in Schulbüchern im Nachhinein irgendwie recht.
Der herzensgute Automechaniker aus der Provence hatte eine lockige Zottelmähne; den Algen, durch die wir mitunter waten mussten nicht unähnlich. Unter seiner behaarten Brust prallte ein kugelrunder, mächtiger Bauch hervor, und wenn seine kurzen Beine an den Füßen in den Schwimmflossen steckten, dann wirkte er eher wie ein Amphibium. Aber was das Bild Neptuns wirklich vollendete, war eine lange Dreizackharpune mit der er stundenlang in Tiefen verschwand, die mir als  damaliger Nichtschwimmer verschlossen blieben.
Immer kam er mit Beute zurück. Und es waren vorwiegend kleine und größere Polypen, die er anlandete. Einmal hatte er sogar eine Languste aufgespießt (ja, die gab es damals noch in Reichweite von Badestränden). Er war mein Held, selbst wenn er die kleinen Polpi direkt auf den Steinen des Strandes roh (und noch lebend?) verspeiste.
Den großen Kraken biß er gezielt zwischen Kulleraugen und den kleinen Balg, um sie außer Gefecht zu setzen und dann prügelte er sie über die Klippen oder klöppelte ihnen mit einem Holzprügel die einsetzende Starre aus den Tentakeln. Nur so, erklärte er meinem Vater, wäre garantiert, dass das Polypen-Fleisch bei egal welcher Zubereitung nicht zäh wie Kautschuk werden würde.
Alle kleinen Fischer - egal ob an Siziliens Faraglionen oder der Amalfitana - die ich im Laufe meines Lebens kennen lernen sollte, bestätigten mir die Prozedur bei frischen Polpi als die beste.
Gut, dass wir heute meist auf Tiefkühlware zurückgreifen können, bei der der "Entspannungseffekt" meist durchs Schockgefrieren erzielt wird. Mit Essig im Kochwasser geht man auch auf Nummer sicher. Manche schwören auf Braisen im Schnellkochtopf, aber mir werden da die Tentakel zu wabbelig. Und wenn sich die Saugnäpfe beim Umrühren des Salates lösen, sieht das auch nicht doll aus. Sehr aufwendig ist das Tauchverfahren, bei dem der Polpo aus kaltem Wasser mit Olivenöl mehrmals in sprudelndes Kochwasser getaucht und wieder abgeschreckt wird, ehe er für 45 Minuten nur bei kleiner Flamme gesotten wird.

Es ist eines der einfachsten und wohlschmeckendsten Gerichte der italienischen Küche und doch kann - je nach Gusto - einiges schiefgehen. Oft habe ich den Salat mit mehligen Kartoffeln bekommen, und ich mag nur die Tentakel vom Kopf weg in gleichmäßige Scheibchen geschnitten. Die dünnen Fühler-Enden und den Balg hebe ich dann für eine Spaghetti-Sauce auf.

L'insalata tiepida di polpo e patate
Lauwarmer Salat aus Polypen und Kartoffeln

Zutaten für vier Personen:
1 Polyp (Krake) von etwa anderthalb Kilo
800 g gewürfelte Salat-Kartoffeln (speckig)
Reichlich fein gehackte Petersilie
Zwei mittelgroße Zehen im Mörser mit grobem Meersalz und einem Teelöffel braunen Melassezucker sowie 10 g grünem Pfeffer zerriebener Knoblauch, der mit 8 Esslöffeln Olivenöl aufgegossen wird
Saft einer Limette
Reichlich gutes Olivenöl

Zubereitung:
Polpo mit Agrodolce-Essig  (Selleriestangen und Möhren nach Gusto) kurz in sprudelndem Wasser ankochen, dann 45 bis 60 Minunten nur sieden lassen. Danach weder abschrecken, noch schockartig aus dem Wasser nehmen, sondern ziehen lassen!
Kartoffelwürfel bißfest kochen und abgießen.
Polpo-Tentakel abtrennen und in möglichst gleiche Scheiben schneiden. Die noch in heißem Zustand mit dem Mörser-Inhalt übergießen, kurz ziehen lassen und dann die Kartoffelwürfel sowie die Petersilie sanft unterheben. Mit Limettensaft, weiterem Olivenöl und Meersalz abschmecken.

Buon Appetito

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