Mittwoch, 22. Juni 2011

Liebe

Flying Golden Hearts               Acryl auf Malkarton


































                                                            
Ja, es gab einmal ein Restaurant hier oben. Wer seiner Geschichte investigativ nachgeht, wird von einer Ereignisfülle erschlagen, die leicht an Boccaccios Decamerone heranreicht. Da geht es um Liebe, Leidenschaft und Eifersucht. Die meisten der  Protagonisten sind mittlerweile schon Burggeister, aber der Respekt gebietet natürlich, dass jegliche Kolportage mit dem Siegel "Legende" versehen wird. Heute hausen in dem Gebäude mit Talblick an der letzten Haarnadelkurve vor dem Borgo Motocross-Fahrer, die den ehemaligen Gastraum als Schrauber-Werkstatt verwenden. Sie düsen Vollgas aus der Tür und sind mit einem Schleudern im anspruchsvollsten Gelände, das sie zum Training finden können...

Kaum zu glauben. dass da mal die geniale Köchin Antonia die Kochlöffel geschwungen und das Regiment über Tiegel und Pfannen geführt hat. Bis vor zwei, drei Jahren konnte keine Sagra im Hauptort ohne ihre Regie durchgeführt werden. Die Feste auf dem Sportplatz zwischen Kirche und Rathaus haben nicht zuletzt durch sie eine Reputation erfahren, dass heute kaum noch Platz auf den Bänken ist, und die Hungrigen Schlange stehen,um  Schnecken-Ragout oder Tonati mit Piselli aufgehäuft zu bekommen.

Hatte Antonia kein Glück mit ihren Männern oder war sie einfach zu leichtgläubig? Jedenfalls hatte sie vor dem Restaurant hier oben schon ein Hotel am Meer in bester Lage. Als ihr Sohn endlich in die Gastronomie einstieg, war sie wieder voller Hoffnung, aber man kann Karten spielend, eben kein Restaurant führen, selbst wenn es  "In ewiger Dankbarkeit Mamma!" heißt...

Aber Antonia festigte in mir die Gewissheit, dass die Liebe im Alter (a la Marques' "....in Zeiten der Cholera") durchaus Perspektive haben kann - selbst wenn die Restzeit  in ihrem Fall - überschaubar blieb. Erno, der letzte Mann an ihrer Seite, den ich die Ehre hatte, nicht nur kennen zu lernen, sondern dem ich auch einmal ersten Hilfe leistete, als seine Parkinson-Erkrankung voranschritt, bekundete ihr gegenüber soviel romatische Liebe, dass eine Fußballmannschaft voller glutvoll amouröser Ragazzi an ihn nicht herangereicht hätte.

Erno räumte nachhaltig mit einer meiner Fehleinschätzungen auf: Nämlich, dass es in einem Dorf, wie dem unseren - noch dazu im katholischen Italien - in Sachen Liebe höchst sittsam und moralisch zugehe. Er tat das mit seiner angeborenen Grandezza unter äußerst dezenten Hinweisen. Carina - eine Nachbarin, die mir bis dato nur duch eine einzigartige Sammlung bunter und enger Jogging-Anzüge aufgefallen war, in die sie sich zu jeder passenden oder unpassenden Zeit hinein zwängte, hätte zum Beispiel Lady Chatterley echt erblassen lassen:

Verheiratet mit einem örtlichen Bauunternehmer, folgte sie dem zweimal klingelnden Postboten hinunter ins Tal, wo sie jenen zu Tode liebte. Zurück auf der Burg und längst fürsorgliche Oma hatte sie in der Folge auch weitere Liebhaber, die erstaunlich schnell entweder pleite waren oder sonst wie zu schwächeln begannen...

Dem Dorf-Schreiner Severino, der hier infolge der nordeuropäischen Invasion in diversen Häusern reichlich mit den Ausbauten zu tun hatte, wird sogar nachgesagt, er habe bei einer Deutschen extra ein Türchen zum Garten eingebaut, um dezent verschwinden zu können, wenn deren Gatte nahte. Aber, wer glaubt denn schon so etwas?

Selbst der wasserscheue Dario (siehe Maremonti) schwärmte davon, wie er bei einer kühlen Blonden aus dem Norden mit erhitztem Gemüt seine Jungmannschaft verloren habe. Da Dario heute ein Mittfünfziger ist, wundert es nicht, dass sich die aktuelle Perspektive ganz anders darstellt.

Ich weiß, dass ich mich jetzt wiederhole. Aber passt "tempus fugit - amor manet"  nicht prächtig in diesen Borgo?

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