Mittwoch, 13. Juli 2022

Im Osten nichts Neues

 

Wieder einmal nehme ich für meine Überschrift Anleihe bei einem unserer größten Schriftsteller: Erich Maria Remarque (1888 bis 1970). Der Titel seines Antikriegs-Buches "Im Westen nichts Neues" wird ja heute noch gerne zitiert, ohne dass die meisten sein Buch überhaupt gelesen hätten, Ich bezeichne ihn heute als den Anti-Hemingway. Obwohl er viel länger im Krieg und an der Front war als der Amerikaner, hat Remarque das von der Obrigkeit befohlene Morden und Abschlachten sehr deutlich als Verbrechen an der menschlichen Seele beschrieben. Seine von eigenen Erlebnissen beeinflussten Schilderungen, kommen nicht ein einziges Mal in die Nähe des unterschwelligen Macho-Gehabes Hemingways, der im übrigen in seiner Vita zwar dabei war aber nicht mittendrin.

Als die überwiegend friedliche Nachwelt noch ohne Killer-Games und zeitnahe Schalten ins Kriegsgebiet einen Eindruck davon bekam, was im Krieg tatsächlich mit Menschen geschieht, gingen die Schilderungen Remarques unter die Haut. Als Gymnasiast konnte ich "Im Westen nichts Neues" und "Arc de Triomphe" vor lauter Heulen kaum lesen. Als Buchhändler ging ich etwas reservierter mit Remarques Stil um, der direkt auf das Mitgefühl des Lesers zielte. Aber es war so natürlich klar, dass die Nazis ihn verboten. Als 1933 seine Bücher verbrannt wurden, war er schon in die Schweiz emigriert. Und als die vom Krieg umbrandet wurde, ging er - wie Thomas Mann nach ihm - in die USA, wo er wegen der Aberkennung der Deutschen dort die Staatsbürgerschaft und den Respekt als Schriftsteller bekam, den er sich später auch weltweit verdient hat.

Quelle: Bundesarchiv

Mich treibt derzeit die Frage um, ob es in der Gegenwart überhaupt noch möglich sein könnte, dass jemand derart intensiv über die Unverständlichkeit des Krieges schreiben könnte. Wenn wir doch täglich quasi live über ihn "informiert" und mit immer gleichen Beileidsbekundungen die Machtlosigkeit unserer Politiker hinnehmen müssen,

"Im Westen nichts Neues", war damals die Phrase des Oberkommando West (OKW), wenn sich im Grabenkrieg nichts wirklich veränderte.  Bei unsinnigen Ausfall-Angriffen durch den Stacheldraht-Verhau - gelegentlich mit Gasmaske gegen das damals noch nicht geächtete Giftgas -  starben aber währenddessen weiter unzählige Soldaten auf beiden Seiten der Front. 

Der Angriff Russlands auf die souveräne Ukraine, der im Mutterland bei Strafe nicht Krieg heißen darf. ist bald fünf Monate alt. Doch langsam kann man in der Berichterstattung über nicht nachweisebare Erfolge und Misserfolge sowie bestätigte und unbestätigte Todesopfer eine gewisse Kriegsmüdigkeit erahnen, Zu Beginn des Krieges gab es noch täglich jede Menge  "Brennpunkt"-Sendungen, jetzt überlagern unsere eigenen Befürchtungen zu Corona, Gas- und Öl-Mangel, tödlicher Sommerhitze, Wassermangel und Rezession die Nachrichten.
Mariupol wie es vor kurzem noch tagesschau,de zeigte

Wann wird es zum ersten Mal heißen "im Osten nichts Neues", obwohl das Sterben, Bombardieren und Töten in der Ost- und Süd-Ukraine unvermindert weiter geht...

Remarque hat man zur Unzeit seinen unverhohlenen Pazifismus vorgeworfen. Wir Pazifisten der Jetztzeit haben hingegen unser friedfertiges Denken einstweilen in den Hippocampus verschieben müssen.

Dürfen wir je wieder pazifistisch denken?
Und gibt der Hippocampus dann überhaupt
noch unsere Erinnerungen an die
einstigen Beweggründe frei?


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