Samstag, 6. Juni 2015

Wenn die Nachtigall nicht stört

Schon ein paar Tage vor Beginn der italienischen Sommerferien ist die Burg wieder voller Bewohner. Um einen freien Parkplatz rund um den borgo zu bekommen, wird spekuliert und taktiert. Da es über Nacht gleich richtig Sommer geworden ist, richte ich mich bei der Hitze auf einen Belagerungszustand ein. Die Serrata magique gestern Abend am Hafen war so stimmungsvoll, dass ich ein paar Tage davon zehren kann. Ich werde also meine geistigen Zugbrücken hoch ziehen und meine Sinne einschalten. Wer die andere Hälfte des Jahres in einer Großstadt wohnt, erlebt das Erwachen eines Dorfes mit engen Gassen, wie einen Rücksturz in längst vergangene Zeiten. Die einheimischen Frauen holen sich Eimer voller Wasser von der Fontana auf der Piazza. Die Wenigen die ihre Oliven und Gärten noch selber bewirtschaften, waren schon beim Morgengrauen draußen und sind jetzt froh in den Schatten zu gelangen. Der übrig gebliebene Bruder der "Hundertjährigen Geschwister" berichtet mit seiner peitschend hohen Krächzstimme, wie sehr das Jahr doch hinten dran ist, und dass jetzt die Gefahr drohe, dass die sengende Sonne, den Saft aus dem Grün dörrt.

Es riecht nach frisch gebrühtem Kaffee und aufgebackenem Brot, und unsere von Jahr zu Jahr wachsende Vielfalt an Singvögeln gibt ihr Morgenkonzert dazu. Mal sehen, ob ich die herausragenden Stimmen vereinzeln kann:

Da ist vor allem die Blaumerle, die eine der schönsten Koloratur-Arien zum besten gibt. Die Nachbarin Folleto Buono hat einen Garten-Rotschwanz beim Baden in der Wasserschüssel für die Katzen erwischt. Ich habe im Computer gleich dessen Stimme abgerufen, und festgestellt, dass der Gesang tatsächlich zum morgendlichen Chor passt. Da mischt auch der Zaunkönig mit. So klein er ist, so mächtig ist sein Gesang. Die Tauben des Borgos sind schwerer zu bestimmen, weil sie vermutlich durch ihre traditionellen Briefboten-Dienste so durchkreuzt sind, dass ihre Lockrufe und ihr Gurren sehr unterschiedlich aber eindeutig sind. Bei den hier vorkommenden Lerchen muss man schon zweimal hinschauen, um sie nicht mit einfachen Spatzen zu verwechseln, aber wenn sie ihren wunderschönen Gesang anstimmen, ist es eindeutig. Wendehälse und Bergstelzen sind mehr Rhythmus-Geber als kreative Unterstimmen...

Es gibt bestimmt noch mehr Vogelstimmen, die erfolgreich zu analysieren wären, aber dafür bin ich nicht geschickt genug. So vielfältig der Gesang heute tagsüber ist, so totenstill ist - trotz der vielen Leute im Dorf - die Nacht. Die Sperlings- und Steinkäuze, sowie die anderen Eulenvögel, die noch vor ein paar Wochen, die Nacht mit ihren Rufen spannend gemacht hatten, haben wohl alle Partner gefunden, und gehen jetzt ihrem stillen Brutgeschäft oder gar schon der Aufzucht ihrer Jungen nach.
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Durch die Stille nächtens, ist das Fehlen der "Königin der Nacht, dem Wunder der Natur" extrem auffällig. Mit dem Beginn des Junis sollte sie doch hier sein: die Nachtigall. Eigentlich hat sie jedes Jahr auf unserem oder dem Dach gegenüber gesungen. Die "Zweitbeste" ist gar nicht so traurig darüber, denn der Gesang war ganz schön laut. Jedenfalls lauter als ihr Schnarchen.

Was könnte sie diesmal abgehalten haben? Also durchstöbere ich jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse und komme aus dem Staunen nicht mehr raus:

Die gesamte Dichtung geht schon von falschen Voraussetzungen aus. Denn es ist nicht die, sondern der Nachtigall, der singt. Die Weibchen dieser Spezies sind nämlich ausgesprochen flatterhaft (?!) und fliegen stumm von Männchen zu Männchen, zicken rum und wählen nach ihrem Geschmack dann schließlich den besten Sänger aus, um sich zu paaren.

Als das in der Natur noch alles seine Ordnung hatte, flogen diese Zugvögel nach Afrika - beispielsweise Ghana - und übten dort einen Winter lang. Und das klang dort gar nicht harmonisch, wie Tonaufnahmen beweisen.

Wie unsere Mauersegler hier im Borgo mutiert die Nachtigall aber eben auch immer mehr zum Standvogel. Es kann also angenommen werden, dass Nachtigallen aus dem Norden einfach keine Lust mehr auf den weiten Weg nach Afrika haben, um ihren Gesang einzustudieren. Die männlichen Nachwuchssänger ohne entsprechende Vorbilder machen sich dadurch also gar nicht erst ans Üben, und zwitschern scheußlich drauflos. Das könnte so manche "Stimmabweichung" erklären.

Wie dem auch sei, mich würde das nicht stören, Hauptsache die Nächte sind nicht so totenstill.

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