Dienstag, 9. Juni 2015

Von wegen armer Lazarus!

Zu den Phänomenen im widersprüchlichen, menschlichen Charakter gehört die Tatsache, dass sich auch Menschen, die von Grund auf böse sind, von ihren Haustieren emotional bewegen lassen. Bei Gutmenschen gerät das Verhältnis Mensch-Tier leicht aus den Fugen des Realen. Dann werden Hamster, Wellensittiche, Pferde, Hunde und Katzen - was ihre Fähigkeiten und Talente angeht - gerne mal übermenschlich.

Meine Vermutung aus eigener Erfahrung ist hierfür, dass wir mit Tieren reden und ihnen vorbehaltlos manches anvertrauen, was wir Partnern nicht erzählen. Tiere hören kommentarlos zu, geben mit einem erlernten, aufmerksamen Mienenspiel vor, alles zu verstehen und holen sich dann gefällig ihre Streicheleinheiten ab. Sie können damit sogar zum Licht im Dunkel der Einsamkeit werden...

Von dem eigentümlichen Verhältnis unseres Nachbarn Vittorio zu seinem Kater Lazaro war ja schon öfter in den Briefen zu lesen:

Der zerrupfte Streuner, der sich niemandem zugehörig fühlte, wurde von dem einst bärigen Mann von der Piazza weg adoptiert. Vittorio, wegen einer komplizierten Operation im Kehlkopf-Bereich manchen Tages beim Sprechen behindert, peppelte den gelben Riesen mit vielen guten Sachen auf, herzte und küsste ihn, bürstete sein Fell und verbrachte Stunden in Zwiesprache mit ihm.

Lazaro dankte es ihm, indem er zu einer Art Katzen-Hund mutierte, seinem neuen Herrchen quasi "bei Fuß" auf Schritt und Tritt folgte und bei Abwesenheit so tat, als bewache er dessen Haus. Denn das erweiterte Karee der Piazza verließ er dabei nie.

Als wir in diesem Jahr zurück kamen, war alles anders. Vittorio ging nicht nur noch am Nachmittag zum Kartenspielen, sondern  machte sich nun auch vormittags schnieke angezogen mit seiner Ape auf den Weg hinunter in den Hauptort (die Zweitbeste vermutete natürlich sofort eine Liaison). Ich traute mich aber nicht, zu fragen.

In dem Maße, in dem sich sein Herrchen schmuck machte, verfiel Lazaro seinem früheren Vagabunden-Outfit. Der Winterpelz ließ ihn doppelt so dick erscheinen, auch wenn er verfilzt und auch mitunter verdreckt war. Als es heißer wurde, löste sich der Pelz langsam in großen Fetzen, so dass er noch erbärmlicher aussah. Seinem wunderhübschen, stolz löwenartigen Gesicht tat das aber keinen Abbruch.

Dass Herrchen jetzt öfter und länger fort war, schien sein Verhaltensmuster nur wenig zu verändern. Weiterhin warteten er eine Stündchen im Schatten auf der untersten Stufe zur Gasse, dann sprang er auf seinen Hochsitz über der Fontana, bis wir auf eine Tasse Tee auf unsere Bank kamen. Dann gesellte er sich zu uns. Nicht etwa, weil die Zweitbeste ihm dann meist ein Leckerli gab, sondern, um einfach nicht allein zu sein...

Die Zweitbeste sammelte zwar seine Fellfetzen auf, aber streicheln ließ er sich von uns nicht, auch wenn er ganz nah kam.

Es stellte sich Ende Mai heraus, dass er unserer Zärtlichkeit gar nicht bedurfte, denn die schönsten Katzen-Damen des Borgos gaben sich nun auf der Piazza ein Stelldichein. Es lief alles nach altbekannten Mustern ab.

Die Damen gaben hysterische Laute von sich, taten so, als hätten sie Angst vor Lazaro und flohen in Richtung einer der dunklen Torbögen. Nicht ohne scharf vor dem dunklen Schatten abzubremsen und einen heißen Blick zurück zu werfen. Dann hüpfte das Zottelmonster betont lässig und langsam von der Mauer und folgte im angemessenen Anstand.
Katzen-Dame auf dem Weg zu Lazaro

Nach einer Weile kam er diskret immer durch einen anderen Torbogen zurück zu uns, und grinste, als hätte er etwas viel besseres als ein Schälchen Sahne verputzt...

Bei seinem Anblick fiel mir ein älterer Reporter-Kollege ein, der mir in meinen Anfangsjahren unbedingt seinen reichen Erfahrungsschatz mit der Damen-Welt vermitteln wollte:

"Du kannst dich wochenlang schick machen und mit dem teuersten Duft auf Brautschau gehen, und es passiert nix. Dann gehst du nach einem Langstrecken-Flug unrasiert, verschwitzt und müde von der Reportage in deine Stammkneipe, nur um noch schnell ein Bier zu zischen. Und genau, wenn du es nicht erwartet hast, wirst du abgeschleppt..."

Wenn ich mich recht an ihn erinnere, hatte der Kollege ein Gesicht wie Lazaro und roch nicht gut.

Von wegen armer Lazaro! Es verwunderte mich nicht, wenn sich demnächst die Zahl gelber Katzen auf der Burg verdoppelte.

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