Montag, 19. August 2013

Lingua Franca

Wer es nicht verstehen kann, sollte verständlicher Weise vorrangig ein Ziel verfolgen: Die Verständigung.
In Zeiten, in denen jeder nur die entsprechenden Apps auf seinem Smartphone aktivieren müsste, klingt das vermutlich seltsam. Aber wer schon selbst nicht mehr ganz junge Leute an einem Tisch beobachtet, von denen jeder in sein Smartphone guckt, dem leuchtet ein, dass die zwar kommunizieren, aber eben nicht mehr direkt miteinander. Sie machen zwar etwas in Gemeinschaft, vielleicht sogar gemeinsam, aber sie verzichten darauf, eine direkte Gemeinsamkeit durch Konversation herzustellen. Ich finde das traurig, und es macht mich dieses tippende Schweigen langsam auch aggressiv.

Weil ich alt bin, verliere ich mich dann in Erinnerungen an meine Jugend, in der es diese ganzen Hilfsmittel noch nicht gab und ich trotzdem in der Fremde gut zurecht kam. - Selbst wenn keine der Sprachen, die ich mal gelernt hatte, verstanden wurde. Ich brauchte auch heranwachsend nur daran zu denken, wie ich als Kind vorgegangen bin, wenn ich auf unseren Reisen Spielkameraden finden wollte. Später auf einer Expedition mit Heinrich Harrer zur Inthronisation eines Rimpotche in Ladakh, erkannte ich an seinen Regeln für die Kommunikation, dass mein Prinzip der Naivität so falsch nicht war. Dort hatten wir sie allerdings nicht nötig, weil ja Harrer als ehemaliger  Lehrer des Dalai Lama fließend Tibetisch sprach. Aber bevor er die sieben Jahre in Tibet verbringen konnte, retteten sie ihm in dem vom Zweiten Weltkrieg verwirrten Himalaya das Leben:
1. Zeigen, dass man nicht feindlich, sondern freundlich und interessiert, aber nicht anbiedernd sein möchte.
2. Sich durch Zeigen gegenseitig Vorstellen und Ehrerbietung signalisieren.
3. Sich mit dem Gesprächspartner hinsetzen (keiner soll den anderen überragen).
4. Im Sitzen ein kleines Geschenk machen - auch wenn es nur eine Zigarette oder ein Getränk ist.
5. Die ersten zwanzig Begriffe von einander lernen.
6. Wenn du etwas erfahren willst, stelle keine Suggestiv-Fragen. Nichts fragen, was nur mit ja oder nein beantwortet werden könnte...

Die jüngste Forschung hat ja heraus gefunden, dass die alten Ägypter - weil sie den Bernstein für eingefangenes Sonnenlicht hielten - Expeditionen zur Region seiner Herkunft durchführten; über Land!
Was müssen das für Kommunikationsgenies gewesen sein. Denn sie erreichten auch ohne Navi und Karten-Material nachweislich die Ostseeküste.
Aber man muss ja gar nicht soweit zurück gehen. Die Welser und die Fugger sowie umgekehrt die Venezianer und Florentiner haben sich ja auch auf ihren Handelsreisen verständigen können. Zwar hatten die als Krücke die Sprache des Mittelmeer umfassenden Römischen Imperiums, aber Latein sprachen eben nur die Kleriker und die Gebildeten. Die übrigen hatten einen anderen wesentlichen Faktor als Grundlage zur Verständigung:  Zeit.

Weder in den Feldlagern noch in den Herbergen gab es Alternativen zum Gespräch - selbst wenn es rudimentär aus Gesten und einzelnen Worten bestand. Auf diese Weise entstand eine Sprache, die im Mittelalter die gesamte, damals bekannte Welt erreichte: Die Lingua Franca. Was übersetzt eigentlich die "Fränkische Sprache" heißt, weil wohl die Pfeffersäcke von nördlich der Alpen mit ihrer germanischen Liebe fürs Ordentliche auch da wieder Regeln einführten. Mir gefällt meine Deutung besser. Franca bedeutet ja auch frank und frei, denn so sollten wir miteinander ohne Schüchternheit sprechen, auch wenn wir die Sprache des jeweils anderen nicht verstehen.

Wie ich darauf komme? Durch die aktuellen Erlebnisse auf der Piazza. Nach zwei Tagen spätestens hatten hier die meisten Kids ihre Smartphones und i-Pads vergessen und spielten, indem sie sich mit einer Misch-Sprache aus Italienisch, Deutsch und Französisch das Nötige zuriefen, leidenschaftlich Verstecken, flirteten oder versetzten sich sonst wie ins Abenteuerland der Phantasie. Noch schöner war aber, dass das auch bei den Erwachsenen funktionierte:

Sabrina und Giancarlo haben hier vor dreißig Jahren bei verwegenem Spiel die Dächer  der Burg unsicher gemacht. Dabei waren noch Ingo, Danilo, Graziella und wie sie sonst noch alle hießen. Jetzt sind sie weit in den Vierzigern, kommen aber immer noch hierher. Sabrina ist in Paris verheiratet, Giancarlo als Hotelier ziemlich herum gekommen. Sogar ein Wenig Deutsch hat er dabei gelernt. Graziella war immer hier. Alle haben reichlich Kinder, die nun auch auf der Burg herumtoben.
Als Sabrina dann Besuch aus Frankreich bekam und Giancarlo noch ein Appartement frei hatte, trafen sie sich auf der Piazza. Giancarlos Freundin, eine Malteserin, die deshalb wohl überwiegend Englisch  und bei unkonzentrierter Unterhaltung mit den Kindern aus erster Ehe von Giancarlo  ein Gemisch spricht, kam auch hinzu. War das ein köstliches Durcheinander! Sabrina spricht ganz gut Italienisch, Giancarlo aber wollte ja auch sein Deutsch loswerden. Die Franzosen sprachen natürlich nur Französisch, aber dazwischen die zwei- oder dreisprachig aufgewachsenen Bambini als Stehgreif-Übersetzter: Das war ein Europa, das einem Hoffnung macht.

Übrigens. Eines meiner Lieblingsworte aus der Lingua Franca ist "Almanach". Es hat längst seine ursprüngliche Bedeutung in den diversen Sprachen verloren. Es ist eine Abschleifung des arabischen "el menachem" oder "al manechem". Das beschrieb den Platz, wo die Karawanen sich zur Ruhe trafen und ihre Treiber sich Geschichten erzählten. Das ist genau das, was der Obelix will: Geschichten erzählen von Leuten,die sich in einem ruhigen Augenblick treffen...

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