Montag, 5. August 2013

Ganz s c h ö n alt!

"Alter vor Schönheit!", haben wir als Jugendliche immer gesagt, wenn wir uns irgendwo vordrängen wollten. Gut, dass es ein Privileg junger Menschen ist, nichts vom Alter und dessen Herausforderungen zu ahnen.

Jetzt, da es auf der Burg von Kindern und Jugendlichen aller Altersklassen und Nationalitäten nur so wimmelt, wird bei dieser Hitze vor allem offenbar, dass Kinder durch sie nicht in ihrer Agilität gebremst, sondern besonders nach Sonnenuntergang eher noch beschleunigt werden. Die notti magique werden mit trappelnden Versteckspielen, kleinen Flirts und anderen Burg-Abenteuern ausgelebt. Das sind die schönsten Augenblicke des Jahres - wenn aus diesem überwiegend grabesstillen Borgo  die "italienischen Momente" erwachen. Auch eigene Erinnerungen steigen da aus dem Langzeit-Gedächtnis hoch:

Vor kurzem habe ich in unserem Supermarkt ein Zitronen-Sorbet entdeckt, das mich mit dem ersten Löffel in den damals noch kleinen Ort Domaso am Comer See zurück versetzte. Der Ort war mehrmals auf unseren Familien-Rundreisen in den 1950ern die Pufferzone zwischen dem Berg- und dem Besichtigungsteil. Meine älteren Schwestern fanden dort erste große Lieben, die erstaunlicher Weise in lebenslange Freundschaften mündeten, und ich war ein Teil der heimischen Rasselbande, die bis Mitternacht von den Müttern ungebremst ihr Unwesen trieb. Am schönsten war es, wenn wir hinter dem Freilicht-Kino ungesichert auf einer hohen Mauer sitzend berühmte italienische Schwarzweiß-Filme wie "Die Fahrrad-Diebe" seitenverkehrt sahen und dabei das wie eine Zitrone geformte Wasser-Eis lutschten...

Aber da war noch eine Begebenheit. an die ich mich gerade jetzt wieder erinnere. Einer der Spiel-Kameraden - Fulvio - hatte eine Großmutter, die ich damals für die schönste Frau der Welt hielt. Wenn sie ihr "Fuuuuuulivioooo!" durch den Ort rief, bin ich immer gleich mit gelaufen, um sie bei dieser Gelegenheit einfach nur anzuschauen. Das hat sie natürlich gemerkt und mich derart gedrückt und geherzt, wie es mir bei meiner Mutter unangenehm gewesen wäre.

Inzwischen ist mir klar, dass ich von klein auf einen ganz besonderen Blick für diese Schönheiten entwickelt hatte, denn bei der Mutter meines Vaters und bei der Kölner Tante Maria, die mich betreute, als mein geliebter Großvater - der Vater meiner Mutter - starb, erging es mir wie mit der Mutter von Fulvio.

Die perfekt üppig proportionierte Mömi - wie meine glutäugige Oma von allen genannt wurde - war, was ich zu ihren Lebzeiten noch nicht wusste, ein wilder Feger und Berliner Stadtgespräch, weil sie meist solo in ihrem Excalibur durch die Reichshauptstadt zu diversen Sportarten preschte, in denen sie dann auch noch absolute Spitze war. Tante Maria überlagert sich in der Erinnerung mit den gefilmten Bildern von Marlene Dietrich, und ich muss mich zusammen reißen, damit ich erkenne, dass sie viel schöner war als der "Blaue Engel". Ihr Antlitz war gütiger und weicher, und dass ihre Figur viel verlockender war, hätte ich in dem zarten Alter von zehn gar nicht erkennen dürfen...

Zurück zur Burg: Hier lebt - seit sie als Sekretärin einer technischen Oberschule in Imperia pensioniert ist - eine Frau, deren Name geradezu Programm erscheint: Donatella-Graziella. Sie trägt bei ihren Wanderungen um die Burg meist ein einfaches Hemdkleid und die weißen Haare ohne Schnickschnack nach hinten gebunden. Sie braucht sich nicht zu schminken, weil ihr edles Gesicht einen auch so in ihren Bann schlägt. Sie ist eine sehr gebildete Frau und hat deshalb längst gemerkt, dass sie mit uns einfaches Italienisch sprechen muss, damit wir Konversation machen können. Die allerdings fällt dann meist recht substanziell aus, so dass sich auch bei den legendären Piazza-Gelagen unsere Bekanntschaft immer weiter vertieft.

Wie meine Eltern sich immer gewünscht hatten, der Vater meiner Mutter wäre für einen gemeinsamen Lebensabend früher mit der Mutter meines Vaters zusammen gekommen, so stelle ich mir in meiner Kuppler-Fantasie vor, was Graziella und der Grandseigneuer  Silvio, der Ex-Rosenzüchter, für ein Prachtpaar ab gäben.

Von wegen Alter vor Schönheit - Alter und Schönheit ist angesagt!

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