Dienstag, 6. November 2012

Der Kapitän der Wolkenschieber

Je tiefer die Sonne steht, desto härter entbrandet am Himmel über unserer Terrasse der herbstliche Kampf zwischen il blu del mare und il nero delle montagne: Das ist eines der spannendsten Kapitel im jährlichen Ablauf unserer Lebensformel Maremonti

Die Zweitbeste - im Oktober geboren - liebt diese Zeit des Jahres. Ich, der unter dem Sternzeichen Fische das dann schon wieder länger werdende Licht der Welt erblickte, habe als Kind das Lied "Winter ade" mit Inbrunst gesungen, und den finsteren Gesellen mit seinem Schnee gehasst. Wer konnte denn ahnen, dass die kalte Jahreszeit einmal meine Geschäftsgrundlage werden würde... 

Durch das Leben hier ist mein Verhältnis zur "kalten Jahreszeit" wieder ambivalent geworden, obwohl auf den Ausläufern der See-Alpen schon Schnee liegt, und das Paar einst funkelnagelneuer Ski in der Cantina wohl über mein Lebensende hinaus ungefahren bleiben wird. Die nächste absolut  schneesichere Ski-Station wäre nur knapp eine Stunde entfernt...

Dass ich zu Depressionen neige, dürfte mittlerweile Kundigen aus meiner überschaubaren Leserschaft aufgefallen sein. Entscheidend ist,  - hat mir ein junger Jung-Epigone aus Wien einmal mit auf den Weg gegeben - dass sich der Betroffene bewusst macht, dass die Depression im Vergleich zu anderen schweren Erkrankungen nicht nur immer wieder vorbei geht, sondern auch dadurch wirksam zu bekämpfen ist, dass man sich an ihr erfreut und sie - im Idealfall - sogar genießt.

Ich setze seinen Rat immer noch um, indem ich mich hier  in Rollen hineindenke. Dann wird die Terrasse hoch über den Oliven-Bergen zur Kommando-Brücke eines Schiffes, das über einen wilden Ozean wuchtig grüner Wellen gleitet. 

Bei der stets aus ähnlicher Gemütslage  komisch überkompensierenden französischen Autorin Fred Vargas heißen solche Typen im kriminalistischen Menschen-Zoo ihrer Romane: Wolkenschieber.

Vargas ist übrigens die absolute Wunderwaffe gegen Traurigkeit, und jedem, der sie noch nicht kennt, für die langen Abende wärmstens empfohlen. Leider habe ich nicht ihr Talent, aber dafür gäbe ich einen guten Wolkenschieber ab. Die denken nämlich in einer festgefahrenen Situation das Undenkbare und gehen bewusst Wege, die andere nicht beschreiten wollen. 

Ich wechsel dann beispielsweise zum Thema Lyrik. Mal sehen, was Ihr davon haltet:



Ich fahr' auf Wolkenschiffen

Wollt'ich Matrose werden.
Ward als zu leicht befunden.
Kein Leichtmatrose ohn' Gewicht!
Zog ich dann mit Wolkenherden
Und kam kaum über die Runden.
Heuer wollt' ich ja nicht!

Aus Angst ich würd' zu schwer,
Verzichte ich auf Geld
Und heure an auf 'nem Wolkenschiff.
Zu segeln lieb' ich gar doch sehr!
So bin ich nur'n Wolkenheld,
wenn die Welt zerschellt am Zeitenriff

Nun unter vollem Segel
Am speckblauen Firmament
Und ohne Anker treibt's mich jäh dahin.
Verbannt von Kind und Kegel,
Auch ohne neues Testament...

Macht all das einen Sinn?
Wenn ja, dann doch nur den:
Wer selbst sich als zu leicht befunden,
Der darf sich nicht beschweren,
Wenn andere nicht versteh'n,
Ihm den Respekt noch zu bekunden
Und barsch das Träumen ihm verwehren


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