Freitag, 9. November 2012

La Lettera Carrier

In einem großstädtischen Umfeld wie dem vom Glashaus mit Tausenden Münchnern um sich herum, macht sich niemand Gedanken über die Befindlichkeiten alltäglicher Dienstleister. In Zeiten von SMS, e-mails und Paket-Diensten baut keiner mehr wie früher eine wenn auch noch so kleine Beziehung zu seinem Briefträger auf. Ganz im Gegenteil. Da er meist ja doch nur noch ungewünschte Werbe-Botschaften in die Briefkästen stopft, ist er sogar bisweilen eine Unperson.

Ganz anders hier auf der Burg: Unsere Lettera Carrier - obwohl unten in der Stadt wohnend - ist ein wesentlicher Faktor im Dasein der Burggeister. Macht sie Urlaub oder ist sie krank, fehlt sie uns regelrecht. Und das nicht nur weil ihre gelegentlichen Vertreter schon mal zu faul waren, für die paar Sendungen hier herauf zu kraxeln und die Lieferungen dann im großen Müll-Container am Eingang des Borgos entsorgten...

Es ist eine Herz erwärmende Freude, sie beflissen mit ihrem Autochen von Einsatz zu Einsatz düsen zu sehen. Immer gut drauf, auch unterwegs immer freundlich winkend. Die puppenhaft alterslos wirkende Frau mit ihrer gefärbten Pumuckel-Frisur lässt keinen bewohnten Winkel der Burg aus. Selbst wenn sie mal für "ihre Kunden" nichts hat, macht sie sich zumindest bemerkbar. Im Sommer wenn alle Fenster offen sind hört jeder ihre glockenhelle Stimme von überall her:
"Posta, posta! Oggi niente! A domani!"

Bei den eher einsam lebenden Damen wie Signora Electra oder Donna Ada verweilt sie auch, wenn sie nichts hat, überprüft, ob es ihnen gut geht und bringt Nachrichten, die die Post normalmente nicht transportiert. Ein Böser, wer das als Dorftratsch bezeichnen würde.

Gestern nun, klang ihre stets heitere Stimme, die zu mir auf die Terrasse  drang, aufgeregt und auch ein wenig ängstlich. Es dauerte eine Zeit, bis ich kapierte, dass die andere Italienisch sprechende Frau auf der Piazza die Zweitbeste war. Sie hat im Umgang mit den Burg-Damen mehr und mehr die Hemmungen, Italienisch zu sprechen, fallen lassen. Jetzt bekam sie dafür das Drama aus erster Hand:

Die Wehrdörfer hier gleichen - wenn die ausländischen Hausbesitzer zu dieser Zeit des Jahres abwesend sind - gerne mal mittelalterlichen Geisterstädten. Ganz besonders unser Borgo, in dem vielleicht aktuell bis zur Weihnachtszeit  nur noch gut zwanzig Menschen residieren, wird an dunklen Tagen zur Herausforderung für unsere postina, denn sie muss ja bei jedem Wetter per pedes hoch. - Selbst wenn sie keine Sendungen dabei hat. Denn unter dem Torbogen zu unserer Piazza Castello hängt der offizielle Briefkasten mit regelmäßigen Leerungen.

Was also hatte sie so erregt? Im ebenso ausgestorbenen Nachbarort war Donna Lara nicht anwesend, aber ihre Haustür stand offen. Das konnte zweierlei bedeuten: Entweder ihr war etwas geschehen oder ihre Abwesenheit hatten Einbrecher genutzt. Jedenfalls fackelte die postina nicht lange und rief sofort die Polizei. Der gelang es tatsächlich den durch die Hintertür entwischten Dieb quasi in flagranti dingfest zu machen.

Aber damit nicht genug. Mit frisch aktivierter Wachsamkeit warnte sie die Zweitbeste, die nicht die Mutigste ist, auch gleich noch vor dem "Schwarzen Mann", der sich hier zwischen den Dörfern herumtreiben soll. Ein baumlanger Typ ganz in Schwarz gekleidet mit einem riesigen Silberkreuz auf der Brust. Der sei bestimmt ein Betrüger, meint die postina, die ihn schon verstohlen rauchend in diversen Ecken beobachtet habe:
"I nostri Sacerdoti non fumare!" Unsere Priester rauchen nicht.

Ich werde doch wohl nicht meine im Dschungel von Borneo erprobte Machete aus der Cantina holen müssen...

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