Donnerstag, 22. November 2012

Zum Teufel mit dem Tod

Als am vergangenen Freitag unten in Oneglia der Jahrmarkt oliOliva eröffnet wurde, erklang hier oben wieder einmal die Sterbeglocke von San Giovanni. Auf meiner Terrasse erzeugte der Einklang aus einzigartig erleuchteter Landschaft und dem langsamen Rhythmus der Schläge ein derart selten erlebtes Gefühl von Frieden, dass mir die Tränen kamen, weil mein Herz gewissermaßen überlief: Was für ein herrlicher Tag, um zu Grabe getragen zu werden!

Da wusste ich noch nicht, das mit Ennia eine weitere der Hundertjährigen Geschwister im Alter von 97 Jahren von uns gegangen ist. Die einzige der Balterini, die geheiratet und eine Tochter bekommen hatte. Die Zweitbeste war unterwegs, sonst hätte Signora Electra sie schon zum Trauergottesdienst  "eingefangen". Auf einem Dorf gehört der Leichengang selbst der entferntesten Nachbarn  einfach dazu. 

Ich, der Agnostiker, tue mich mit Beerdigungen seit jeher  sehr schwer und meide sie, wenn es geht. Hier oben aber habe ich einmal eine Ausnahme von dieser Abstinenz gemacht. Nämlich als unser Nachbar Malizio seinen tapferen, mehrjährigen Kampf gegen den Krebs verloren hatte; eigentlich eher als gezolltem Respekt für  Donna Ada. Denn Malizio und ich hatten ein eher distanziertes Verhältnis, seit er einmal nicht begreifen wollte, wieso ein Ungläubiger neben seiner Eingangstür eine Terrakotta-Madonna samt Jesuskind befestigen wollte.

Es ist schwer, Leuten, die in einer derartigen Nähe zu Gott aufwachsen, wie die Menschen hier oben, klar zu machen, dass ein Agnostiker sich durchaus am festen Glauben anderer erfreuen kann. Also bin ich schon deshalb auf Malizios Beerdigung gegangen, und habe mich selten so unpassend gefühlt. 

Es war "a ries'n Leich" gewesen - wie man in Bayern sagen würde. Die große Kirche war gerammelt voll und selbst der Vorhof und der halbe Parkplatz waren dicht bevölkert. Vielleicht war ich einer von vielleicht Hunderten und dennoch hatte ich das Gefühl, als starrten mich alle an. Ja sie machten mir sogar Platz, sodass ich ganz hinten neben den Taufbecken noch einen Platz in der Kirche fand. Als ich mich dann so umschaute, war mir auf einmal klar, wieso ich derart auffiel: Ich war der einzige, der in einem schwarzen Jackett, weißem Hemd und schwarzer Krawatte erschienen war. Die ligurische Landbevölkerung unterbricht für die Trauerfeier lediglich ihren Alltag, kommt also in den Kleidern, die für die jeweilige Tätigkeit angemessen war, die sie gerade hatte ruhen lassen: Der alte Balterini in seinem Blaumann von der Feldarbeit, die Postina in ihrer Dienstkleidung, Tamara von der Gemeinde in ihren Büro-Klamotten - ja selbst Malizios Witwe hatte sich nicht eigens aufgehübscht...

Am Tag nach der Beerdigung trafen wir Ennias Tochter samt dem Schwiegersohn auf der Fiera vor dem Stand, in dem Mozzarella frisch gesotten und noch warm verkauft wird. Wir kondolierten und drückten unser Bedauern aus, dass wir die Beerdigung verpasst hätten. Aber davon wollte das entspannte Paar etwa in unserem Alter eigentlich gar nichts mehr wissen. Der Tod war gestern, und heute geht das einfache Leben mit seinen bescheidenen Annehmlichkeiten weiter...

Ich hätte aus dem Sterben ganz sicher keinen Post gemacht, wenn die ARD-Sendeanstalten - auf welch höheren Ratschluss auch immer - nicht justament eine Themenwoche zum Sterben und dem Umgang mit dem Tod veranstalten würden. Selbst auf meinem Dauer-Berieseler  Bayern3, den ich via Internet höre, wenn ich an Manuskripten herumbastele, bekamen dauerblödelnde Moderatoren plötzlich einen Heiligenschein auf die Stimmbänder.

Da kann es ja gar nicht ausbleiben, dass man sich schließlich doch derlei Gedanken macht, zumal man ja altersmäßig selbst schon so langsam auf die Zielgerade der letzten Runde eingeschwenkt ist. Heute Nacht bin ich  dann in meinem Schlafloch zumindest für mich zu einem Ergebnis gekommen:

Der Tod und wie das Individuum mit ihm umgeht, hängt eindeutig von altersbedingten Perspektiven ab. Ennias Enkel Maurizio könnte davon berichten, denn als Motorradfahrer hatte man ihn auf unseren engen  und kurvigen Bergstraßen von mancher Kühlerhaube oder Trockenmauer gezogen, ehe er nach seinem letzten sechsmonatigem Krankenhausaufenthalt auf einen stahlblauen Sportwagen deutschen Fabrikates umgestiegen ist. Da er in punkto Geschwindigkeitsreduzierung nicht allzu schnell dazu lernt, bin ich immer noch froh, wenn sein Geschoss hier oben steht, während ich hinunterfahre.

Ich war auch einmal so, und es bedurfte Dutzende von Grenzerfahrungen, bis zum Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit. Die Verantwortung für Kinder kann dabei helfen. In meinem Fall kam aber auch noch die traurige berufliche Pflicht des Nachrufe Schreibens hinzu. Wie viele, die sich für unsterblich gehalten haben, musste ich ein letztes Mal erhöhen, damit heute wenigsten noch ein paar an sie als Helden denken...

Zum Teufel mit dem Tod! So habe ich als 27 Jähriger Hals-und-Beinbruch-Reporter einmal eine Story betitelt, die in zahlreichen Sprachen erschienen ist, und meinen Ruf als "harter Hund" begründete.
Die Leute sollten mich heute mal erleben, wenn ich beim kleinsten Herz-Aussetzer wie Espenlaub zittere.

Ehrlich - liebe ARD-Programm-Direktoren! Ihr könnt mich mal - mit eurer Themenwoche!

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