Sonntag, 1. September 2019

Alles eine Frage der Perspektive

Der 1. September ist für immer historisch gebrandmarkt. Der Überfall Nazi-Deutschlands auf den ohnehin schon oft in seiner Geschichte malträtierten Nachbarn Polen war der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wenn wir heute überhaupt nach all  der Greuel ein einigermaßen entspanntes Verhältnis zu den Polen haben, dann erdanken wir das nicht dem Einheits-Kanzler Helmut Kohl, sondern dem Wandel durch Annäherung von Willy Brandt und Egon Bahr, aber das ist natürlich wie immer eine Frage der Perspektive.

Heute wird in Brandenburg und Sachsen gewählt, und der Ausgang der Wahlen lässt uns erneut eine Nazi-Dominanz fürchten. Wieso? Weil trotz der enormen Summen, die West-Bürger wie ich für den "Soli" berappen mussten, die Leute dort mehrheitlich glauben, sie seien eher abgehängt als wieder vereinigt worden. Nach drei Jahrzehnten wird dieses Gefühl immer stärker, weil vor allem die Jungen sich ja kaum noch an das Unrechts- und Unterdrückungs-Regime der untergegangenen DDR erinnern können, aber den Legenden glauben, dass sich damals der Staat eben gut um alles gekümmert habe...

Schnell ein Sprung zwischendurch auf die Burg:
Auch hier gibt es solche Perspektiv-Verschiebungen. Die Ausländer, die nicht nur das Burgdorf vor dem Verfall bewahrt , sondern auch wesentlich zum Erhalt und der Verbesserung von historischen Gebäuden und ihrer Infrastruktur beigetragen haben, werden von den Einwohnern des Hauptortes unten gerne als Steuer-Hinterzieher verunglimpft, obwohl wohl niemand soviel IMU abdrückt wie gerade die, die keine Residenten sind.

Undank ist der Welten Lohn - wie es im Deutschen Märchenbuch von Ludwig Bechstein heißt. Das aber kann doch nicht erklären, wieso plötzlich aus Sehnsucht nach Verbrecher-Regimen oder bezogen auf Europa auch hier böse Fremden-Ressentiments erwachsen.

Die Geschichte wird geklittert, damit muss man sich wohl abfinden.
Zum Glück habe ich auch zwei weitere Gründe den 1. September wahrzunehmen. Mein Vater wurde zu diesem Datum 1908 geboren, und ihm ward sicher nicht in die Wiege gelegt worden, dass er sich als politisch recht sperriger  Jurist und Regierungsdirektor der Bundesrepublik Deutschland um die materielle Wiedergutmachung von Nazi-Verfolgten kümmern musste. Tatsächlich weil sich für diese Behörde keiner voon Rang  fand, der sich nicht zuvor braun bekleckert hätte.
Sein Vater, mein Opa Erhard, starb am Geburtstag meines Vaters im Jahr 1956. Auch er war ein Staatsdiener mit zwar gelegentlichen Orientierungs-Schwächen, der aber immerhin beim Übergang vom Kaiser-Reich zur Republik bei seiner Arbeit als Sprecher im neuen Reichstag Kopf und Stehkragen riskierte.

Ich brauchte für eine Relativierung seines Wirkens fast mein gesamtes Leben.
Die Quintessenz: Unendlich Dankbarkeit, dass wir es nach meiner Geburt so lange geschafft haben, demokratisch für Frieden vor der Haustür zu sorgen.
Das kann doch nicht einfach durch einen Stimmzettel mit dem Kreuz für falsche Fakten und Parolen abgeschafft werden!
Das gilt für Deutschland, aber nicht weniger auch für Italien, sollten die Koalitionsverhandlungen hier scheitern.

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