Donnerstag, 5. September 2019

Mein altes Ego

Das, was an Gedrucktem übrig bleibt, befasst sich immer häufiger mit Ratschlägen dazu, was der Mensch zur Verbesserung seines Lebens tun oder lassen sollte. Vor allem im Ernährungsbereich wird beinahe täglich eine neue Sau (mit geringeren Cholesterin-Werten?) durchs Dorf getrieben. Aber immer häufiger kommt es auch zu Übergriffen, um dem Individuum ultimativ und "alternativlos"zu empfehlen,was es zur Verbesserung seiner Psyche anzustellen hat.

Ich weiß nicht, wie es meinen Altersgenossen geht. Aber ich fühle mich von dieser Ratgeber-Industrie übergangen. Untereinander reden wir ja meist nur über das, was die Ärzte uns diagnostiziert haben. Zwei Burg-Nachbarinnen in den 80ern bekamen künstliche Gelenke im Knie beziehungsweise in der Hüfte eingebaut. Meine Frau und der Musik-Professor von den Burg-Zinnen haben sich neue Linsen in die Augen lasern lassen. Seither kann ich keinen Krümel mehr auf dem Hemd haben, den sie nicht scharfsichtig ausfindig machten.
Beim Autofahren haben aber meiner Holden die veränderte Perspektive  eher nicht geholfen. Was auf unseren kurvigen und engen Straßen bei mir für erhöhten Pulsschlag sorgt. Aber eben auch nur, weil ich mich selbst viel zu früh als verantwortlich für meine Mitmenschen zum dem Schicksal ergebenen Beifahrer degradiert habe... Mein Freundin Paula meint sogar drastisch, ich hätte mich selbst entmündigt, während  sie  tempohart auf die 80 zusteuernd in ihrem SUV immer noch ordentlich Stoff gibt.

Ich bin nicht neidisch auf alle meine Bekannten, die selbst nach schwersten Operationen so tun, als gäbe es das Alter gar nicht. Während ich mich von nahezu allem verabschiedet habe, was mich einst ausmachte, feier ich auf der Burg kleine Siege gegen mich selbst. Seit ich schmerzende und dadurch sehr unzuverlässige Beine habe, rang ich um den Gebrauch eines Stockes. Jetzt benutze ich diesen maßgeschneiderten Hartholz-Prügel, und siehe da, beim Schleppen der Vorräte hinauf zum Haus (manchmal gut 20 Kilo) muss ich auf den steilen Treppen keine Pause mehr einlegen, sondern marschiere tock, tock tock in einem unaufhaltsamen Rhythmus, bei dem mein Körper nicht mehr durch seitliches Pendeln unnütz Energie liegen lässt.

Gesagt hat mir das keiner, dass einfache Physik so leicht männliche Eitelkeit besiegt.
Das alte Ego starrt gnadenlos zurück. Es
schüchtert ein. Vielleicht sind die vielen Alten
in der Politik deshalb so böse, weil
sie damit bis zum Umfallen
 ihre Sterblichkeit überspielen wollen?
Und nun komme ich auf die Einleitung zurück. Es gibt tausende an Ratgebern, wie einer annähernd die ewige Jugend erringen kann, aber nicht einen, der einem verrät, wie man damit umgeht, wenn man sich vor der Zeit vom Alter hat erwischen lassen. Es geht immer darum, das Werden zu beeinflussen, niemals jedoch mit dem Sein zurecht zu kommen.

Unter dem Suchbegriff  "alt werden, aber richtig" gibt es bei Google hunderte von Webseiten, die das belegen.

Ich habe mein Ego zum Beispiel sechs Jahrzehnte mit Unmengen von Trainingseinheiten in den verschiedensten Sportarten gefüttert, aber ich hätte nie so lang weiter gemacht, bis womöglich Gelenke ausgetauscht werden müssten. Kein orthopädischer Chirurg soll noch einmal Hand an mich legen, so lange ich das bei klarem, eigenem Verstand noch verhindern kann. Aber da sind wir schon beim nächsten Schwachpunkt. Die Gehirn-Leistung lässt im Alter nach. Da kannst du dich auf den Kopf stellen!
Wie machen Trump und auch seine überlagerten Gegenkandidaten für die nächste US-Wahl das mit dem Überspielen ihres sichtbaren Greisenalters? Was rauchen die und wann? Und müssen wir machtlosen Alten noch damit rechnen, dass die high bis zum Stehkragen irgendwann den "roten Knopf" drücken, damit wir gemeinsam mit ihnen verdampfen? Eine atomare Variante des Pharaonen-Todes gewissermaßen...

Ein Grund, weshalb ich eigentlich meine Blogs bediene, ist vor allem der Angst geschuldet, ich könne bald nicht mehr formulieren. Meine Frau löst mit unendlicher Geduld die schwersten Sudokus, vergisst aber den Einkaufszettel, auf dem sie alles vermerkt hat, um ja nichts zu vergessen. Ich spiele am Computer Patience-Varianten gegen die Uhr. "Seahaven Towers" muss ich in unter einer Minute lösen, "Freecell" in unter zwei.
Also tagsüber kann ich meinen Verstand jetzt - trotz aller Fahrigkeit - noch gut kontrollieren, aber nachts bin ich dem Chaos in meinem Kopf in Form von Stakkato-Träumen hilflos ausgeliefert:

Ich habe den Deutschen Schlager nie gemocht. Seit neustem wache ich mit Refrain-Zeilen auf, die sich wohl vor fünfzig Jahren oder noch eher in meinem Kleinhirn festgesetzt haben. Was echt zum Alptraum werden kann. Also beispielsweise träumte ich von dem Blödel-Song der Gebrüder Blattschuss, aber mit dem eindeutig falschen Berliner Stadtteil. Alle der damals 1978 noch geteilten Stadt fielen mir ein, nur der eigentliche nicht. Es dauerte bis zum Morgengrauen, bis ich auf  die "Kreuzberger Nächte" kam...

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