Dienstag, 10. September 2019

Wenn das Gute böser ist als das Böse

Seit geraumer Zeit ist festzustellen, dass die Dramaturgie in Film, Fernsehen und Literatur immer häufiger verlangt, dass Sympathien Charakteren entgegen gebracht werden, die jenseits der allgemeinen Moralvorstellungen agieren. Das funktioniert meist, indem dem eigentlichen Negativ-Helden im Verlaufe der Handlung zunehmend Eigenschaften zugeteilt werden, bei denen unser Unterbewusstsein sagt: Ach so böse ist der ja eigentlich gar nicht.

Beispielsweise ein Drogen-Dealer geht eingangs mit Mord und Totschlag gegen seine Konkurrenz vor, um noch mehr abzusahnen. Aber dann erfährt man im Verlauf der weiteren Handlung, dass er auf diesem Weg die einzige Chance sieht, seiner todkranken Tochter die unheimlich teure aber lebensrettende Operation zu ermöglichen. Damit diese fragwürdige Schieflage seiner Moral nicht aneckt, müssen die, die ihn eigentlich zum Schutz der Gesellschaft verfolgen, besondere Ekel sein: korrupte Polizisten, ehrgeizige Staatsanwälte, gnadenlose Richter - aber auch "Freunde", die sich als "Verräter" verdingen...

Dieses Grundmuster hat natürlich hunderte Varianten. Am drastischsten wird unser soziales Gewissen in Filmen von Quentin Tarantino misshandelt. Es gibt aber auch jede Menge Werke, die von uns Konsumenten gegen alle Vernunft Kultstatus erringen.
Er quatscht über Burger, tanzt
mit der Frau vom Chef
und bringt ganz nebenbei Leute um:
John Travolta als Vincent Vega
in Tarantinos "Pulp Fiction"
Quelle: ping
Forest Whitaker, der begnadete und mit dem Oscar ausgezeichnete Darsteller sperrigster Rollen verkörpert in dem Film "Ghost Dog - Der Weg des Samurai" aus dem Jahr 2000 einen Auftragskiller. Der hält sich beim Killen an die strengen Regeln des Hagakure. Im niemals angezweifelten Gehorsam zu seinem Gangsterboss und Meister verrichtet er sein mörderisches Handwerk, bis er bei einer Exekution der konkurrierenden Mafia-Bande eine Frau verschont. Die Mord-Aufträge erhält er übrigens durch Brieftauben, und natürlich hat der Massenmörder einen Freund, dem er wirklich vertraut und mit dem er sich austauscht. Auch freundet er sich mit einem kleinen Mädchen an, dem er kurz vor seiner im Kodex konsequent angekündigten, eigenen Exekution sein "Hagakure" als Vermächtnis übergibt. Jim Jarmusch, der Meister-Regisseur wendet hier die moralischen Katalysatoren zum tödlichen Tun seines Helden in Form von Schutz-Instinkt, Freundschaft und Unschuld an: Tauben, Freund und Mädchen.

Ich habe den Film einige Male in verschiedenen Sprachen gesehen und gebe zu, dass ich immer begeistert war. Aber da war das generell Böse ja eher noch ein Abstraktum und nicht weltweit auf dem Vormarsch. Als Sohn eines Juristen nagte dabei aber immer schon in mir so ein Gefühl, dass ich mich habe hinreißen und verführen lassen.

Der Antagonismus zwischen Gut und Böse ist so alt wie die Menschheit, und so lange sind Künstler aller Epochen mit ihren Werken auch zurecht inspiriert. Aber in der Faszination die vom Bösen ausgeht, steckt auch immer die Gefahr, dass man das Gute zu wenig schützt.

Die Erziehung mit Zuckerbrot
und Peitsche sucht manch böser Bube
bis ins hohe Alter - getrieben
von Klischees: Gute Frauen sind
blond und haben blaue Kulleraugen.
Bei den bösen Schwarzhaarigen
stehen die grünen Augen schräg.
Claus Deutelmoser:
Zuckerbrot und Peitsche,
Acryl und Öl auf Karton
ca. 2011
Bis zu meiner Kindheit galt zum Beispiel die Erziehung mit "Zuckerbrot und Peitsche" als gangbarer Mittelweg. Heute schlägt man in unseren Breiten Kinder nicht mehr, aber man lässt sie ungefiltert Gewalt konsumieren. Die Mode des Satanismus ist durch den Gothic-Style zwar etwas abgeschwächt worden, doch die Gewalt unter Jugendlichen wird ja auch nicht schwarz, sondern braun geschürt, ohne dass wir näher darauf achten.
Potentaten stapfen gnadenlos über Errungenschaften zur Macht, dass einem angst werden kann, die Demokratie sei ein Auslaufmodell und der Spaß am Bösen das Politikum der Zukunft.

In einem gnadenlos miserablen ARD-"Tatort" vom vergangenen Sonntag sagt der Krankenhaus-Pfarrer - dargestellt von Heinz Hoenig : "Der größte Erfolg des Teufels ist, dass er uns hat glauben lassen, es gäbe ihn nicht!"

Wer lässt sich nur solche Zeilen einfallen? Natürlich gibt es keinen Teufel. Aber es gibt auf der Welt Millionen von Menschen, die gerne Teufel wären, und einige con ihnen kommen sogar mit Hilfe von Kirchen-Fürsten an die Macht.

Ich war vor einiger Zeit in zwei Übersee-Departements Frankreichs auf Reportage. Auf der Insel La Reunion im Indischen Ozean gab es in einem Hain an der Straße zu meinem Hotel eine "Weihestätte" für den Baron Samedi. Auf den Lava-Brocken lagen blutrote Schleier, Opfergaben wie abgeschnittene Hühnerköpfe, und Kerzen in gespenstischen Gestaltungen brannten offenbar Tag  und Nacht. Ich bat meinen Taxifahrer von dessen Rückspiegel ein Rosenkranz baumelte, zu halten, damit ich fotografieren könne. Er riss entsetzt die Augen auf.
Als ich wieder einstieg, wies ich auf den Rosenkranz hin, und fragte, ob er dem "Baron" auch opfern würde. "Natürlich, ich muss mich gegen das Böse ja schützen. Das machen hier auch die Hindus und Moslems."

Erstaunlich, weil ich den Voodoo-Kult bis dahin nur für karibisch hielt. Auf Guadeloupe hatte ich mal die Allerheiligen-Nacht mit Einheimischen auf dem Friedhof verbracht. Da trat der Baron aber in Form verkleideter Jugendlicher auf, und wurde nicht mehr ganz so ernst genommen...
Immer dran denken; Angst vor dem Bösen haben auch die Bösen.
Das Voodoo-Wesen Baron Samedi soll da helfen. siehe James Bond.
"Der Baron Samedi tanzt am Eingang zur Hölle"
Claus Deutelmoser 2004, Oil in Canvas

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