Sonntag, 7. August 2016

Mein Olympia-Boykott

Mir wird ganz übel, wenn ich daran denke, wie viele Stunden meines endlichen Lebens ich vor der Glotze verbracht habe, um  - teils aus beruflichen Gründen, teils aus echter Begeisterung - Übertragungen von sportlichen Großveranstaltungen anzuschauen. Damit ist jetzt Schluss!

Diesmal verweigere ich mich, nicht weil ich erst jetzt die Doping-Thematik für mich entdeckt habe, sondern weil ich das Verhalten der beiden Deutschen in den Spitzen-Positionen des internationalen Sports nicht mehr nachvollziehen kann. Gut, der Karrierist und CSU-Netzwerker Alfons Hörmann ist noch zu jung, um sich erinnern zu können, aber Dr. Thomas Bach, der Fecht-Olympiasieger, war Athleten-Sprecher zu einer Zeit, als die Freiburger Sportmedizin unter professoraler Führung alles auf Leistung spritzte, was nicht bei drei über der Latte, am Zielband oder sonst wo im Finish war.

Als ganz junger Sportreporter bei einer großen Illustrierten bekam ich die Allmacht des Doping-Netzwerkes, das von schwäbischen Spitzen-Politikern unterstützt wurde, unmittelbar und Furcht einflößend zu spüren. Eine ehemals geschmeidige und erfolgreiche Athletin, kam in den 1970ern auf einmal erstaunlich muskelbepackt daher. In die Enge getrieben, versprach sie vor laufender Kamera eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, dass sie nicht gedopt hätte.

Was die verbotenen Mittel anging, hätte sie den schwören können, wäre da nicht der Grundsatz:
Alle Leistungssteigerungen, die auf unphysiolgischem  Wege erzielt werden, gelten als Doping.
Die Athletin - fand ich heraus - verwendete aber von einem Verhütungs-Preparat, das Gewicht-Zunahme als Begleiterscheinung hatte, die vierfache Dosis, um daraus im Kraftraum schnelleren Muskel-Zuwachs zu erzielen. Als ich das schreiben wollte, kam eine Ketten-Reaktion in Gang.
Der behandelnde Professor drohte mir mit dem Bundespresserat, ein Politiker rief
einen Freund des Verlegers an, jener wurde von seiner Rechtsabteilung gewarnt. Letztlich wurde aus meinem Beitrag eine Art harmlose Glosse mit dem Titel "Streit um Evas Bart".

Immer noch frech genug, dass der mit jener Athletin trainierende US-Olympionike und Silbermedaillen-Gewinner im Diskus von 1984 auf dem Trainings-Gelände vom TSV München Ost mir Prügel androhte. Wir waren in etwa gleich alt und von gleicher Gewichtsklasse, aber ich hatte gerade mein sehr erfolgreiches Karate-Buch mit Gilbert Gruss veröffentlicht. Also hatte ich keine Angst und das zeigte ich ihm. Es wäre allerdings meine erste nicht sportlich bedingte, körperliche Auseinandersetzung gewesen...

Die Jahre gingen dahin, und die Methoden, sich Leistungszuwachs zu verschaffen wurden immer diffizieler, aber auch effektiver. Blutdoping: Mit in der Höhe antrainierten roten Blutkörperchen wurde dem Athleten zwecks erhöhtem Sauerstoff-Umsatz vor dem Wettkampf eine Infusion von in der Höhe entnommenem Eigenblut gelegt. Elektroden-Doping: Mit elektrischen Stromschlägen wurden die Muskeln so gereizt, dass sie einen Trainings-Effekt selbst im Schlaf erzielten. Alles wurde verboten - aber immer erst, wenn es aufgedeckt wurde. Heute sind teure Trainings-Tunnel, in denen gleiche Effekte erzielt werden, völlig legal.

Dann setzten die "Sport-Mediziner" wieder verstärkt auf unsichtbare Helfer aus der Chemie. Die Liste wird jedes Jahr länger, und meistens kommen die Athleten - vor allem im Rad-Sport und der Ausdauer-Athletik - ungeschoren davon. Denn Sport, gerade olympischer, ist Big-Business und vor allen schmälernden Einflüssen zu schützen. Dabei sind die ehernen Prinzipien eines Coubertins eher hinderlich.

Hat sich denn niemand gewundert, wieso zwei Radler aus der damals ja nicht unbedingt zu den Radsport-Nationen zählenden USA auf einmal die Tour de France gewannen? Und das nach Hoden-Krebs und schweren Schussverletzungen!

Je reicher ein Land, desto besser sein Doping. Rekonvaleszenz-Mittel auf Basis der "freien Radikalen"verhindern nicht nur Schmerzen, sondern bringen einen auch kräftig zurück in die Spur. Das durfte aber keine Entschuldigung für Jan Ulrich gewesen sein, dessen Entlarvung als Betrüger mein Fan-Dasein auf einen Schlag beendete.

Zum Abschluss eine Geschichte, die ein Australischer WADA(Worl Anti Doping Agency)-Experte gerne zum Thema "genetisch bedingte Blutwerte" erzählt:

"Wir haben einmal eine Athletin mit erhöhten Werten erwischt, die glaubhaft versichern konnte, dass die Anomalie genetisch bedingt sei. In den folgenden Jahren wurden jene Grenzwerte offiziell aber weiter gesenkt. Die Athletin schnitt jedesmal knapp unterhalb ab. Komische Gene. Es dauerte bis Sotschi als man sie trotz der später aufgedeckten russischen Manipulationen endgültig ausschließen konnte..."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen