Mittwoch, 17. August 2016

Dolce Vita oder Dolce Far Niente?

Mit den "Italienischen Momenten" bei uns Deutschen nördlich vor den Alpen ist es genauso wie mit den Handys und Smartphones. Irgendwann wurden sie so zur Gewohnheit, dass man nicht mehr genau weiß, wann das eigentlich alles angefangen hat.

Unser Pizza-Meister Mario hat in München 1960 angefangen. Drei Generationen meiner Familie haben bei ihm alle Varianten, des Teig-Fladens schätzen gelernt.

Es heißt immer, dass die ersten Pizzerie wegen der italienischen Gastarbeiter entstanden. Das kann kaum sein, denn in Würzburg gibt es seit 1952 immer noch die erste Pizzeria Deutschlands. Ich denke, es ist vielmehr so gewesen, dass der Reise-Boom des Wirtschaftswunders für den Siegeszug der italienischen Gastronomie bei uns gesorgt hat. Sonst hätte es doch die Geschmacksverirrungen mit den in Bast gehüllten sogenannten Chianti-Flaschen, die von Kerzen betropft wurden, gar nicht geben können.  Am Gardasee ging das schon los mit diesen Flaschen, und wenn man bedenkt, dass der Chianti Classico mit dem Gallo Nero als Gütesiegel heute in Bestform kaum mehr zu bezahlen ist, muss das ein ziemliches Zeug gewesen sein.

Dann bestimmten eben das süße Leben und das süße Nichtstun unsere italienischen Phantasien. Denn die zweite Italien-Hype hat Regisseur Federico Fellini 1960 mit seinem  einzigartigen SW-Film "La Dolce Vita" ausgelöst. Aber noch war da unser Italien-Bild mehr als mit Klischees behaftet. Das im gleichen Atemzug zur Lebens-Formel erkorene "süße Nichtstun", "Il Dolce Farniente"  als Redewendung hat übrigens kurioserweise den ältesten Ursprung  -  das war nämlich der Titel eines finnischen Gedichtes von Aaro Hallakoski, das jener bereits 1926 veröffentlicht hatte.

Italienische Gastronomie ist heute aus unserem Alltag in Deutschland nicht mehr weg zu denken. Sie hat mittlerweile einen gewissen Gourmet-Rang erklommen, der mit der realistischen Qualität der Darbietung kaum mehr etwas zu tun hat. Gäste werden gerne mit Handschlag und persönlichen Fragen begrüßt, als seien sie etwas Besonderes, aber deshalb wird gerne leichtfertig darüber hinweg gesehen, dass die Leistungen ohne das ganze Chichi kaum noch mehr als Durchschnitt erreichen.

Wenn meine italienischen Freunde nach Deutschland kommen, fallen sie immer wieder in Ohnmacht angesichts der Preise, die ihnen für kaum originäre Küche von ihren Landsleuten dort abverlangt werden.

Um es klar zu sagen: Auch hier ist das gute Essen nicht billig, aber die Zutaten sind frisch, und auch Ausfälle kann sich keiner leisten, denn wenn die Touris erst einmal wieder fort sind, übernehmen die Einheimischen das Kommando. Das häufige Verschwinden von einst angesagten Adressen kommt nicht von ungefähr.

Ich gehe in Deutschland nicht mehr zum "Italiener", und ich trinke auch keinen italienischen Wein. Das hat nichts mit Arroganz zu tun, sondern ist ein reines Rentner-Rechen-Exempel. Die Flasche Arneis, von gleicher Provenienz, die ich hier für 18 Euro zum Essen bestelle, kostet bei einem einst geschätzten In-Italiener in München das Dreifache. Nur mit dem Unterschied "casareccia" - also nach Tradition Gekochtest - wird hier nicht mit Gold aufgewogen, sondern muss geleistet werden, sonst ist der Ofen nämlich bald aus. In München höre ich die Ahs und Ohs der Schickimickis und denke mir: "Wenn ihr wüsstet."

Aber zurück zur Überschrift:
Mein herrlichstes  "Dolce Vita" hatte ich als Jugendlicher, wenn mir meine Mutter in Sant Angelo auf Ischia für den Abend im Ort 5000 Lire (damals etwa 20 DM)  in die Hand gedrückt hat, weil ich am Nachmittag fleißig gelernt hatte. Ich war ein lausiger, weil unendlich fauler Schüler und musste in den Ferien immer lernen. Also nix mit "Dolce Far Niente". Aber für 5000 Lire gab es eine Packung Nationale, eine Pizza und zwei Bier sowie zwei Capuccini in der Piano-Bar, wo meine Freunde - ein in Meisterklassen klassisch geschultes, französisches Geschwisterpaar - mit Gitarre und ramponiertem Klavier bis zum Morgengrauen schrägen Boogie machten.

15 Jahre später katapultierte mich das Schicksal beruflich in Etablissements, wo der 5000-Lire-Schein mindestens als Trinkgeld für einfachste Gefälligkeiten erwartet wurde. Da hatte er sich aber in der Wertigkeit bereits halbiert. Die teuersten italienischen Luxushotels und die grandiosest inszenierten Küchen-Opern in jenen Hochburgen des Dolce Vita konnten aber dieses Gefühl von einst nicht wirklich zurück bringen.

Erst, da ich das meiste ja hinter mir habe, erlebte ich vorgestern den schönsten Ferragosto als Teilzeit-Italiener: Das süße Leben ereilte mich am Nachmittag nämlich hier auf unserer kleinen Piazza, weil die beiden Musik-Professoren von Gegenüber ihre Fenster bei wehenden Vorhängen weit offen hatten und ihr Bestes in einem Modern Jazz- "Concerto Gratuito" gaben. Einen eiskalten Drink dazu, und bloß nix tun.  Einfach "Dolce Far Niente" eben...


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