Dienstag, 15. September 2015

Libeccio

Als es für diverse Seelen-Blähungen noch keine Psycho-Pharmaka gab, wussten die Alten hier in den Bergen noch wundersame Geschichten über die Auswirkungen dieses Südwestwindes zu erzählen.
Er brächte sowohl den Tod als auch das Leben.

Seinen Namen Libeccio erhielt der mystische Wind vom levantinischen Namen für Libyen, weil er genau aus der Richtung kam und bei höherer Geschwindigkeit roten Wüstensand mit sich führte. Ein guter Grund die Hausmauern in Ligurien rostbraun zu streichen oder den Naturstein nicht zu verputzen, denn wenn er ausnahmsweise auch Regenwolken aufstaut, dann sind hellere Tönungen bald hartnäckig rosa gestreift.

Wir jedenfalls haben unsere weiß abgesetzte Terrasse schon mehrfach neu streichen müssen, und das war gar nicht mystisch.

Schon bevor ich hier herzog, hatte ich vieles gelesen, in dem der Libeccio vorkam, denn wann immer fabelhaftes vorkommt, stürzen sich Dichter und Schriftsteller auf diese Geschichten, um deren Wunderlichkeit zu überhöhen.

Leben und Tod wurden dergestalt geschildert, dass während unter ihnen junge, unverheiratete Pärchen Liebe machten, über ihnen in den Kronen der Steineichen-Wälder die Leichen der Lebensmüden im Libeccio schaukelten...

Es wurde nie explizit erforscht, ob der Libeccio gerade im Herbst - wenn er besonders wirkungsvoll sein soll - zu mehr Geburten im Mai und Juni geführt hat oder gar die Suizid-Rate erhöht hätte. Es wird wohl so sein, wie mit dem Föhn in München der auch für allerlei Fehlverhalten verantwortlich gemacht wurde, ehe die Wissenschaft solchen Ur-Legenden den Wind aus den Segeln genommen hat.

Möglich ist, dass Druck empfindliche Menschen, sogenannte Wetterfühlige, vor allem diese Veränderungen wahrnehmen und auch den damit einhergehenden Temperatur-Wechsel nicht so gut verkraften. Der Rest wird durch die Phantasie gesteuert, und die sollte niemals unterschätzt werden.

Meine Empfänglichkeit, führt schon dazu, dass ich spätestens eine Viertelstunde, nachdem ich von den Symptomen einer seltenen Krankheit gelesen habe, sämtliche an und in mir entdecke. Da kann ich natürlich auch dem Libeccio nichts entgegen setzen.

Je nach Stimmungslage löst genau dieser Wind eine jubelnde Leichtigkeit in meiner Brust aus, während ich an manchen Tagen das Gefühl habe, die schwer gewordenen Luft nicht mehr einatmen zu können. Da ich ein Leben lang mit Depressionen und übersteigerten Hochs umzugehen gelernt habe, lasse ich den Libeccio einfach geschehen. Ja ich genieße ihn sogar. Ich beobachte, was er mit den Wolkenbergen anstellt und lasse meine übrig gebliebene Kreativität stimulieren. Das kann dann dabei heraus kommen:

Ich fuhr auf Wolkenschiffen

Wollt' ich Matrose werden.
Ward als zu leicht befunden.
Kein Leichtmatrose ohn' Gewicht!
Zog ich mit Wolkenherden
Und kam kaum über die Runden,
Denn Heuer wollt' ich nicht!

Aus Angst, ich würd' zu schwer,
Verzichte ich aufs Geld,
Heuerte an auf 'nem Wolkenschiff.
Segeln liebte ich doch gar zu sehr!
So ward ich zum großen Wolkenheld
wie die Welt zerschellt am Zeitenriff

Nun, unter vollen Segeln
Am blau geleckten Firmament
Treibt's mich Anker los dahin.
Verdammt von Kind und Kegeln
Und ohne wahres Testament...
Macht all das einen Sinn?

Wenn ja, dann doch nur den:
Wer selbst sich als zu leicht befunden,
Der darf sich nicht beschweren,
Wenn andere sich nicht unterstehen,
Ihm den Respekt noch zu bekunden
Und auch das Träumen ihm verwehren

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen