Sonntag, 6. September 2015

Außenansichten

Die präzisesten Analysen über das "Deutsche Wesen" kamen im Laufe seiner Geschichte von Dichtern und Schriftstellern aus dem Exil: Heinrich Heine, Thomas Mann und Kurt Tucholsky, um nur die drei Prominentesten zu nennen. Trotz Verschlüsselungen ihrer Kritik in ihren Außenansichten wurden  ihre Werke von den  jeweils Herrschenden umgehend verboten.

Einem Amerikaner jedoch war die Weissagung vorbehalten: Thomas Wolfe.
Sein nach einem ausführlichen Deutschland-Besuch während der Olympischen Spiele von Berlin 1936 verfasstes Werk "Es führt kein Weg zurück" (übrigens eine Parole aus dem US-Bürgerkrieg) hätte die Welt beizeiten über Nazi-Deutschland aufklären und "Mein Kampf" neutralisieren können. Aber es erschien zunächst nur in Teil-Aufsätzen, und kam in Buchform erst nach seinem Tod (1938) in England heraus. Das war 1940, als der Zweite Weltkrieg schon ausgebrochen war. Im Nachkriegs-Deutschland war es dann bizarrer Weise erfolgreicher als in den Vereinigten Staaten...

Wer mal so richtig Gänsehaut bekommen möchte, sollte es angesichts der aktuellen Weltlage aufmerksam lesen.

Im Zeichen der elektronischen Nachrichten-Fülle und der freien Meinung im Internet, haben Außenansichten eine andere Wertigkeit bekommen. Es fiele schwer, das, was in und rund Europa gerade abgeht, mit erzählerischer Prosa oder gar in lyrischer Vers-Form abzuhandeln. Dazu ist der Schrecken zu permanent. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit an den Ostgrenzen der EU weist Deutschland zudem eine völlig neue Rolle zu. Die ehemaligen Kriegstreiber werden jetzt innereuropäisch in eine Rolle gedrängt, die einst den universell heilsbringenden USA zugewiesen wurde.

Die Außenansicht mancher Europäer von Deutschland entspricht dabei aber gar nicht so dieser Rolle.
Hier oben auf der Burg mag man manche Deutsche einigermaßen leiden, aber wenn beispielsweise bei der Wasser-Versorgung etwas schief läuft (die Swimmingpools und das regelmäßige Gießen der Pflanzen) oder von Touristen verborgene Regeln (Leinenzwang für Hunde) gebrochen werden, sind wir  kollektiv Merkel-Deutschland. Dann bricht etwas hervor, das die Färbung der Nachrichten unterbewusst bereits angerichtet hat.

Wenn ein Kommentator davon berichtet, dass Deutschland einen Milliarden-Handelsüberschuss in Höhe der griechischen Schulden verbuchen kann, schließt sich daran gleich die Frage an, wieso dann Deutschlands Haltung so gnadenlos sei.

Wir Deutschen gelten momentan per se als reich, arrogant und herrschsüchtig. Und hinter diesem Vorurteil ducken sich andere Nationen, um nicht ihr Quantum von der derzeitigen Völkerwanderung zu übernehmen.

Klar ist, dass unsere Geschichte einen anderen Umgang mit Flüchtlingen und Asylanten verlangt. Ganz sicher können die Deutschen sich das auch leisten. Aber die Gefahr liegt eben in den radikalen politischen Minderheiten, die Mehrheiten anstreben. Die sorgen nach Außen für gewünscht sensationelle Nachrichten. Wenn Flüchtlingsheime brennen, der schwarze Mob randaliert und aus alten Dokumentationen bekannte Hetz-Parolen schreit, dann wird aus Merkel-Deutschland schnell auch wieder Nazi-Deutschland.

Die Wahrnehmung außen wird ja durch den Zusammenschnitt zum gefilterten Extrakt.

Als die Baader-Meinhof-Bande ihr Unwesen trieb, hatte ich sehr viel beruflich in den USA und Kanada zu tun gehabt. Meine Kollegen dort fragten mich allen ernstes, wie es denn in den Straßen von Deutschland aktuell zugehe, und das Außenministerium gab eine Reise-Warnung aus...

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