Samstag, 20. Oktober 2012

Wo sind die anderen?

Kaum ist der Sommer mit den Bade-Latschen vorbei, da macht sich das Phänomen wieder verstärkt bemerkbar. In meiner Jugend hielt ich es allein für ein typisch deutsches, aber seit ich in der Welt herum gekommen bin, weiß ich, dass das Mysterium der einzeln auf Wegen und Straßen herumliegenden Stiefel, Halb- aber auch Turnschuhen eines ist, dass selbst in der bei derlei Dingen unterversorgten, sogenannten "dritten Welt" vorkommt...

Neulich fuhr ich über den vereinsamten Sustenpaß. Kurz vor der Passhöhe auf gut 2000 Meter Höhe lag mitten auf der Fahrbahn ein recht gut erhaltener wenn nicht gar neuer Bergschuh: Ein rechter, denn ich habe für ihn gebremst und kurz überlegt, ob ich ihn auf eine der Markierungen für den Schneepflug stülpen sollte Er hätte mindestens noch für mehrere Dutzende Bergtouren getaugt. Aber wer würde einen verlorenen Bergschuh schon auf einer dieser gelb schwarzen Stangen suchen...Ich ließ ihn also liegen.

Natürlich gehen einem einige Gründe durch den Kopf, wieso dieser Schuh dieses Schicksal der Vereinsamung hat hinnehmen müssen: beim Abtransport eines Verletzten durch die Bergwacht könnte der Stiefel vom Fuß gerutscht sein; oder ein Bergkamerad hatte einfach keine Lust auf eine schwierige Bergtour, und weil er dem Rest der Seilschaft nicht sagen wollte, dass er zu feige ist, hat er in einem unbeobachteten Moment den Schuh einfach aus dem Fenster geworfen: "Sorry Freunde, aber ich muss unten bleiben, ich habe nur einen Bergschuh eingepackt." Oder ein Einheimischer hatte einfach die Nase voll, von den vielen Touris in seinen Bergen und einem aufgelauert, um ihm - ein Exempel statuierend -einen der neuen Stiefel zu rauben... - Ich werde es leider  nie erfahren. Genau wie den Grund für all die anderen Einzel-Schicksale verlorenen Schuhwerks, die ich im Verlauf meines Lebens registrieren musste.

Es kann ja wohl nicht alles auf meinen alten Schul- und Sport-Kameraden Toni oder ähnlich gestrickte Zeitgenossen geschoben werden. Der Toni - ein herzensguter Mensch, hochintelligent und einer der begabtesten Schwimmer, den unser Land je hervorgebracht hatte - bekam unter bevorstehendem Wettkampf-Stress mitunter einen Rappel, der sich darin äußerte, dass er einzelne Schuhe unseres Teams aus dem Mannschaftsbus schleuderte und darüber teuflisch lachte. Das Ritual war wohl leistungssteigernd, denn bei irgendwelchen Bayrischen Meisterschaften, die ich halb barfuß humpelnd erlebte, holte er den Titel über 100 Meter Kraul mit Jahrgangsrekord.

Mensch und Schuh - das scheint doch zumindest im geschnürten Zustand eine kaum lösbare Verbindung, und doch passieren da Dinge, die nicht zu erklären sind. Ein TV-Kollege vom ORF stürzte beim Ski-Weltcup  in Bad Gastein mit einem Hubschrauber aus gut dreißig Metern Höhe ab. Alle an Bord überlebten wie durch ein Wunder unverletzt, aber mussten unter Schock stehend, aus dem geborstenen Helikopter befreit werden. Mein Kollege hatte bei der Befreiung keine Schuhe an. Er konnte sich aber erinnern, dass er seine geschnürten Sorel Boots im Hotel angezogen hatte. Einer fand sich dann auch unweit der Absturzstelle im Tiefschnee. Der andere blieb auf immer verschwunden...

Wie komme ich auf dieses absolut absurde Burgbriefe-Thema?

Heute Vormittag war ich mit der Zweitbesten wieder radelnd auf unserer einzigartigen Strecke am Meer unterwegs. Um diese Zeit (Schande!) wirkt aber leider ein Entwässerungsmittel und ich musste rechts ran und in einem Palmenhain verschwinden. Wie immer in solchen Momenten waren auf der eben noch total leeren Strecke von beiden Seiten auf einmal Dutzende Radler unterwegs. Nicht die schnellen Renner, sondern die Gemütlichen, die auch noch Zeit haben, links und rechts zu gucken. Ich konnte mich aber gar nicht genieren, weil keinen Meter von mir entfernt ein einzelner, funktionstüchtiger Bike-Schuh mit integriertem Pedal-Klick-Mechanismus lag.

Hätte es sich bei dem Besitzer um einen vermeintlich einbeinigen Rennradler gehandelt, dann hätte er doch auf diese Internet-Börse für rechte und linke Einzelschuhe gehen können. War am Ende also ein Verbrechen geschehen? Man kann diese Rennpedale nicht ohne passendes Schuhwerk treten. Selbst mit nur einem dieser Schuhe zu gehen, haut nicht richtig hin.

Jedenfalls hatte ich für einige Kilometer keinen Blick für die herrliche Küstenlandschaft, sondern vermutete unter jedem Oleander oder hinter den großen Agaven das passende Pendant oder zumindest Stücke eines gemeuchelten Radlers zu finden.

Aber es ging aus wie immer. Die Frage:"Wo sind die anderen?" blieb einmal mehr unbeantwortet...

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