Sonntag, 14. Oktober 2012

Herbstzeitreiche (?!)

Schon als sie vor mehr als vier Jahrzehnten zunächst "die Liebe auf den ersten Blick" und noch lange nicht "die Zweitbeste" war, predigte mir die Frau, mit der ich heute immer noch meine alten Tage verbringe: 
"Lebe jetzt und hör endlich auf, dich um das Leben in der Zukunft zu sorgen. Geniess es doch  endlich mal!!!"

Ja aber geht das so leicht, wenn ein Paar schon zu Beginn der Beziehung weiß, dass es gegensätzlicher nicht sein könnte? Sie war schon eine manierlich bezahlte Angestellte in einem Erfolgsverlag als ich noch Lehrling in einem war, der mal erfolgreich dem Markt Impulse verlieh und dann von einem der mächtigsten Medien-Konzerne der Welt geschluckt wurde. Jenes Macht-Imperium, das immer wieder auch in meinem späteren Leben meine Ideen bereits beim kleinsten Anzeichen von Erfolg durchkreuzen sollte... 

Am Ende jedes Monats lebten wir jedenfalls damals von meiner mageren Ausbildungsbeihilfe. Und es reichte  doch für gegrillte Maiskolben oder eine Hühnersuppe beim Wienerwald, die wir als "Luxus pur" empfanden.

Sie dann - im frühen Twen-Alter - erfolgreiche Managerin zweier Buchhandelsfilialen mit Millionen-Umsätzen, und er - kaum trocken unter den journalistischen Flügeln - ausgestattet mit einem Autoren-Vertrag, wie es sie heute gar nicht mehr gibt: 

Es wurde geheiratet auf einem Fundament finanzieller Sorglosigkeit, wie es andere und ältere Paare gar nicht kannten: Und dennoch blieb bei ihm immer die Angst vor dem Morgen, die ja nicht kleiner wurde, als die Kinder kamen und die Managerin mehr oder weniger - ohne das heutige Lamento - die eigene Karriere aufgab...

Ach, was schreibe ich eigentlich von den längst vergangenen Tagen, wo wir doch hier im Jetzt angekommen sind? Jedenfalls hatte die Zweitbeste vor wenigen Tagen Geburtstag, und weil die Kardiologen es ihr angeraten hatten, sich ein wenig zu bewegen, habe ich ihr ein Klapp-Fahrrad neuester Bauart im Internet bestellt und nicht ohne Hintergedanken geschenkt. 

Zeit unserer Ehe hat sich die Zweitbeste meinen Versuchen geschickt entzogen, sie auf meine eher aktivistische Schiene zu ziehen. An meinem vierzigsten Geburtstag ist sie zwar  - ohne zu murren und zu stoppen, durch den Nebel vor mir herkurvend - eine schwarze Ski-Abfahrt hinunter gebraust, aber nur um mir dann anschließend zu erklären, dass dies das letzte Mal gewesen sei, dass sie auf diesen "Scheiß-Ski " gestanden hätte. 

Auf dem Tennisplatz endeten unsere Versuche der Gemeinsamkeit immer dann, wenn es mir mal nicht gelang, ihr den Ball direkt auf den Schläger zu spielen. Und zwar in einer Heftigkeit, die die wenigsten unserer Ehe-Kräche auf der nach oben offenen Richter-Skala erreichten. Tennis sei ein Laufsport, hatte ich ihr vergeblich zu vermitteln versucht.

Sie hätte auch niemals eine meiner extremen Reportagen in ferne Länder mitgemacht. Das war nicht ihre Welt, aber sie überließ mir diese - ohne jemals eifersüchtig zu murren oder mir die oft Monate lange  Abwesenheit bei der Kinder-Erziehung zum Vorwurf zu machen.

Ja, und dann waren wir gestern gemeinsam auf diesem sagenhaften Radwanderweg zwischen Imperia und Ventimiglia unterwegs, den die Provinz-Väter auf der aufgelassenen Küstenstrecke der Staatsbahn angelegte haben: Immer ganz nah am Meer und weit über ihm, den Duft der Macchia in der Nase und die jodhaltige Luft in den Lungen. Wir hatten es ganz langsam angehen lassen, und ich hielt mich auch tapfer mit Belehrungen zurück. Wir kurbelten los; langsam und bedächtig dennoch mit Helm auf dem Kopf. Wen juckte es da, dass die anderen Radler uns überholten, als führen wir in Zeitlupe? (Wir machten  tatsächlich etwas Aktives zusammen)

Noch vor ein paar Jahren wäre das permanent überholt Werden bei mir nicht ohne peinlich vom Ehrgeiz berührte Gegenwehr gegangen. Aber jetzt hatte ich ja  sogar auf meine "Rennmaschine" verzichtet und mich auf ein 30 Jahre altes Monster geschwungen (ehrlicher Weise muss ich gestehen, dass ich dabei fast mit den steifen Beinen am Sattel hängen geblieben wäre),das ein Deutscher Produzent zu Beginn der 1980er einmal als "Trekking-Bike" auf den Markt gebracht hatte.Es ging schon komisch schwer mit seinen dicken und auch nicht richtig aufgepumpten Reifen. Aber dass die Kleine da so munter loszog und ich ordentliche treten musste. war doch eine Überraschung; aber auch Belohnung durch ihre Begeisterung.

Wie ich da so mit einem leichten Tränenschleier hinterher trudelte, kam mir der Gedanke, dass es vielleicht doch noch ein Leben vor dem Tode gäbe. Man muss es nur langsamer angehen. Als wir hierher zogen, waren meine Pläne voller geplanter Aktivitäten für die Jahre im Ruhestand. Jetzt mit zwölf  Jahren mehr auf dem Buckel erkenne ich zögerlich, dass wir zwar reich an Zeit sind, aber dass der Herbst uns dazu zwingt, nicht mehr alles auf einmal tun zu können - selbst wenn wir es wollten. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass man im Raum-Zeit-Kontinuum des Alters das Gefühl hat, die Tage rasten dahin. Dabei ist es doch nur die erzwungene Entdeckung der Langsamkeit


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