Samstag, 6. Oktober 2012

Rosario-Fest

Das letzte große Fest der warmen Jahreszeit stimmt mich stets auch ein wenig traurig. Wieder ist ein Sommer vorbei, und ich bin immer noch kein Nonno. Denn die Festa der Madonna von San Rosario am 7. Oktober ist gleichzeitig auch das nationale Fest, an dem alle Großeltern gefeiert werden: Nonna e Nonno.

Unten auf dem Sportplatz werden sie wieder bis in den Morgen hinein Mazurka tanzen, als gäbe es hier keine altersbedingte Hinfälligkeit. Natürlich wird im Borgo auch gestorben, aber abgesehen von der Geisel Krebs, die manche vor der Zeit abruft, leben die Leute hier im Schnitt nicht nur länger, sondern schüchtern einen fast ein mit ihrer resistenten Fitness. Ich denke, das liegt am vielen Treppensteigen und der Ernährung, die sich meist darauf beschränkt, was die Gärten und die Terrassen voller Oliven, Obst und Wein sowie letztlich auch der Wald hergeben.

Die hundertjährigen Geschwister - vier von fünf, die hier oben lebten - sind nur noch zu zweit. 94jährig ist  die eigentlich  fittere und vor allem eloquentere der Zwillinge ihrer ältesten Schwester gefolgt. Jetzt pflegt der Jüngste, der 89jährige, den ich gerne als bösen Burggeist bezeichnet habe, seine verbliebene Schwester hingebungsvoll. 

Er hat sich ein neues Auto zugelegt und kümmert sich zäh wie immer auch noch um die in Reichweite befindlichen  seiner unermesslichen Latifundien. Seit den Sommermonaten hat sich jedoch ein Wesenswandel bei ihm vollzogen. Statt mürrisch mit gesenktem Kopf diagonal über die Piazza zu stiefeln, bleibt er jetzt lächelnd schon mal zu einem längeren Plausch stehen und strahlt auf einmal eine Wärme aus, die ich all die 12 Jahre zuvor gerne bei ihm wahrgenommen hätte. Immer häufiger sehen wir seinen wie "tapezierte Knochen" wirkenden Körper statt in Arbeitskleidung in schicken Klamotten. Die "Zweitbeste", die sich in so etwas besser auskennt, schließt daraus messerscharf: Der hat 'ne Freundin...

Außer der Schwester im Tal waren die vier unverheirateten Bolterini hier oben ähnliche bevölkerungspolitische Blindgänger, wie die Nachkommen in meiner Sippe: Bei sieben - alle bereits über 30 - nicht ein Enkel! Wir Deutschen werden aussterben.

Da werden wir ganz neidisch, wenn wir von der ehemaligen Trägerin buntester Jogging-Anzüge hören, dass sie neben ihrer neu gegründeten Bar bald schon das dritte Enkelkind mit versorgen wird. Dem Gustavo, der weder Katzen noch Kinder mag, hat sie deshalb nach mehreren Anläufen nun endgültig den Laufpass gegeben und ihr mittlerweile fünftes oder sechstes "neues" Single-Leben mit einer tollen Frisur und schickem Outfit gestartet. Der reiferen, männlichen Dorfjugend, die man in Italien i Vitelloni nennt und die jetzt gerne auf eine Grappa oder einen Espresso  in ihrer Bar vorbeischaut wird das gefallen. Mal sehen, ob die Bärin  in ihrer Höhle alleine überwintern muss...

Für uns war in den letzten Jahren Rosario immer das Vorsignal für den baldigen Aufbruch, aber nach dem heißen Sommer in München bleiben wir den Rest des Jahres hier. Gestern hatten wir noch ein kleines Piazza-Fest und spätestens am nächsten Wochenende werden wir wieder bis zur Weihnachtszeit Hüter einer nahezu ausgestorbenen Burg sein. Wir hoffen auf das einzigartige ligurische Herbstlicht und werden Ausflüge machen, an denen uns die Hitze meist hindert. Ein Oma-und-Opa-Leben ohne Enkel eben!

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