Mittwoch, 10. Oktober 2012

Er kam nur bis Ventimiglia

Manche aus dem Kreis der Sippenleser werden sich vielleicht noch erinnern, dass der heutige Burgbriefe-Schreiber in den späten 80ern des vergangenen Jahrhunderts eine preisgekrönte Reportage auf den Spuren von Carlo Levis Roman "Christus kam nur bis Eboli" veröffentlicht hat: Eine Betrachtung der bitterarmen aber reizvollen Basilicata  südlich von Neapel - damals wie heute im Würgegriff von N'drangheta und Camorra - den heute vermutlich stärksten Mafia-Organisationen.

Die Bergkuppen, die wir hier bewohnen, erinnern mit ihren wie Diamantbroschen auf grünem Samt sitzenden, funkelnden Dörfern bisweilen an den waldreichen Teil der Basilicata, die - je weiter einer nach Süden reist - immer karstiger und staubiger wird. Auch Ligurien war einmal so bettelarm. Quasi auch das Durchgangslager der italienischen Tagelöhner auf dem Weg zu ausbeuterischen Bergarbeiter-Jobs jenseits der französischen Grenze...

Heute im bald bettelarmen Europa wiederholen sich Tendenzen von einst, auch wenn das ganze nun von einer der obersten Sprossen der Wohlstandsleiter erlebt wird. Ganz Italien, aber anscheinend besonders die ärmeren Provinzen - so scheint es beim Vorbeifahren - befindet sich im Würgegriff der Benzin-Mafia. Wer die Hoffnung hatte, nach den Ferien gäben die zum Teil abstrusen Preise, die an der 1,90-Euro-Marke kratzen, wieder nach, sah sich getäuscht. Weil die Mineralöl-Firmen anscheinend immer noch nicht genug Profit machen, haben sie dafür ihren Service an den Tankstellen nahezu gen Null reduziert. Wer halbwegs genug tanken will, muss jetzt für Abfüll-Automaten die Kreditkarten zücken oder wem das nach den ruchbar gewordenen Datenräubereien zu unsicher ist, muss  -dem verbliebenen Tankinhalt gemäß - passende Scheine in einen Automaten füttern.

Wer dann - wie ich - stets für einen 50er tankt, spürt dem alten Witz gemäß zwar die Preiserhöhungen nicht unmittelbar im Geldbeutel - dafür aber in puncto Reichweite. Wie meine mobileren Nachbarn hier  und die meisten  vom Auto Abhängigen unten im Tal, habe ich festgestellt, dass es sich mittlerweile sogar  lohnt, zum Tanken nicht ganz eigens über die französische Grenze nach Menton zu fahren. Zum Beispiel wenn man Produkte aus Frankreich möchte, die es hier anscheinend aus Chauvinismus nicht zu kaufen gibt. Francois Hollande hat ja den Spritpreis gedeckelt. 

Nicht der einzige kleine Grenzverkehr in der sogenannten EU: Die Leute aus Como fahren zum Beispiel rüber nach Chiasso, wie die grenznahen Deutschen aus diesem oktantriftigen Grund die Österreicher noch mehr in ihre Herzen geschlossen haben...

Moderne Autos haben ja einen Reichweite-Computer. Da kann man die Tankfüllung ziemlich präzise ausreizen - wenn man nicht die Anzeigen verwechselt. Ich habe auch bei der 50Euro-Füllung den Kilometerzähler stets auf Null gestellt und dann die gefahrenen Kilometer mit der an Reichweite noch zur Verfügung stehenden verwechselt. Erst als vor Ventimiglia das rote Licht für den leeren Tank aufleuchtete, wurde mit der Irrtum bewusst. Ein guter Zocker war ich nie, und deshalb suchte ich mit den letzten Tropfen die wohl teuerste Tankstelle der gesamten Autostrada dei Fiori auf.

"Sakrament" und "Kruzifix" habe ich auf gut Altbayrisch geflucht. Aber dann musste ich  bei dem Gedanken, dass ich Armer nur bis Ventimiglia kam, an den viel ärmeren Carlo Levi denken und war demütig, ja dankbar, dass wir in unserer Zeit des geeinten Europas (noch) keine größeren Sorgen haben. 

Christus - wenn er denn will - kommt überall hin. - Und auch Allah. Die, die an ihn glauben und für die Benzinpreise leichtfertig verantwortlich gemacht werden, sollen ja laut Markt-Insidern am wenigsten dafür können. Jetzt erhöht- wie heute morgen zu lesen war - der wieder erstarkte Irak seine Fördermengen. Mal sehen, was uns dann wieder für Lügengeschichten aufgetischt werden.

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