Donnerstag, 4. August 2011

Die großen Nasenlöcher

Große Nasenlöcher             Ölkreide- Mischtechnik auf Karton


Zu den kreativen Hinterlassenschaften im Sprachgebrauch unserer Familie gehören immer wieder nachhaltige Beiträge meiner Tochter. Einer entzückt meist auch Nichtmitglieder, wenn wir ihn nach arglosem Insider-Gebrauch erklären müssen. Der entstand so in etwa als Töchterchen im Teeniealter war und beim Sonntagsfrühstück plötzlich meinte:
"Mei, Pappi, hast du jetzt wieder große Nasenlöcher!"
"Wie?"
"Immer wenn du richtig angibst, dann bekommst du solche Nasenlöcher!" - Sie nahm zur Beschreibung ihre Arme in vollen Kreisen zur Hilfe...
Seither weiß jeder in der Familie, dass er entweder selber gerade aufträgt wie eine Tüte Mücken - oder was von Leuten zu halten ist, die wir zu treffen im Begriff sind. Eine schöne Metapher. Und vor allem so treffend!
Ich gebe gerne an und finde es geradezu feuilletonistisch, wenn der zu Beeindruckende das mitgelieferte Augenzwinkern mühelos wahrnehmen kann.
Zwei Beispiele: 
Ein Jugendfreund, Segelkamerad und Sohn, dem nicht allzu viel zugetraut wurde, hatte das ihm anvertraute Familien-Unternehmen spektakulär erfolgreich an die Börse gebracht. Während des Crashs in der Finanzkrise verlor die Aktie des Börsen-Shootingstars erheblich. Was den Betroffenen - inzwischen wieder im Besitz der Aktienmajorität - angeblich zu dem dramatischen Ausbruch veranlasste: "Jetzt werde ich wohl den Stewards auf meiner Yacht die Weihnachstsgratifikation streichen müssen..."
Oder mein Golf-Kamerad, der einmal von seinen bescheidenen Ansprüchen ans Leben schwadronierte, bevor er anschließend seinen Double-Bogey-Putt verschob; "Weißt du, ich erwarte ja nicht viel vom Leben. Ein einstelliges Handicap vielleicht. Eine rothaarige Freundin Ende 20, die sich selbst aushält und mir bei finanziellen Engpässen auch mal aushelfen kann. Und letztlich, dass meine Kinder ihr Harvard-Studium anständig zuende bringen...Und meine Frau vielleicht Bridge-Weltmeisterin wird." 

Dennoch hatte ich irgendwie gehofft, dass ich durch Tauschen des Schlossberges bei München mit dem Burgberg hier in Ligurien diesem ewigen Nüsternblähen aktiv und passiv entgehe. Aber das Klappern gehört wohl international zum Handwerk . Aber wenn man davon profitieren kann...

Gustavo, der derzeitige Lover unserer erotisch nimmermüden Jogginganzug-Sammlerin (siehe Blog "Liebe" vom 22.6.) erzählt eines schattigen und heißen Nachmittags bei einem Bier auf der Piazza, er sei nicht deshalb so erschöpft, sondern weil er einen Gemüsegarten oberhalb von Imperia ganz allein zu versorgen hätte. Tausende Tomaten, Auberginen und Zucchini, Zwiebeln, Melonen, Peperoni. Beim Aufzählen wurden seine Nasenlöcher immer größer und mein Argwohn in Form von ansonsten nicht vorhandenen Stirnfalten ständig deutlicher. Als ich ihn dann fragte, ob sich das am Ende nicht doch negativ auf seine Liebeskraft auswirken würde, erhob er nur wortlos eine der längsten und dicksten, strickt gerade gewachsenen Auberginen. Ich lachte schallend und bekomme seitdem jeden Samstag gratis eine Steige mit den wohlschmeckendsten Gartenfrüchten meines Lebens.

Oder Giancarlo, den man, wenn man ihm nur eine Weile zuhört, für den Donald Trump der "Riviera dei Fiori" halten könnte. So sehr schwärmt er von den Palazzi, die ihm am Meer oder hier oben im Borgo gehören, und die er alle eigenhändig mit viel Geschmack und Handwerksgeschick herrichtet. Wieso er dann überhaupt noch drei Nächte in der Woche Nachtschicht bei der Post schöbe? Wegen der Steuer natürlich und der Krankenkasse! Tatsache ist, dass seiner süßen kleinen Frau die meisten der wahrhaft kaum zählbaren Liegenschaften gehören, aber der Macho nimmt das eben nicht so genau.

Ja und dann war vor zwei Tagen wieder mal so ein spontanes Piazza-Fest mit grandiosem Buffett und Mordsstimmung bis um zwei Uhr nachts: Mit jedem weiteren Glas Wein wurde die romantische Kerzen- und Lampen-Illumination überschattet. Man sprach von Reisen, Restaurants, Autos, Weinen. Auf einmal sah ich nichts mehr, weil sich meine Nasenlöcher derart geweitet hatten, dass ich meine Tischgenossen nur noch wahrnehmen konnte, wenn ich den Kopf extrem um 180 Grad nach hinten drehte. Aber den anderen schien es genauso zu ergehen. Wie in in den berüchtigten schwazen Löchern im All verschwanden Luxusautos, Traumvillen und andere Statussymbole in den geblähten Nüstern meiner Tischgenossinnen und - genossen.
Denn wir, die wir zehn Jahre oder weniger aus dem Job und der Wichtigkeit heraus waren, begannen auf einmal darüber nachzudenken, wieso eigentlich unsere Kinder und Enkel, sich aktuell so schwer tun, das von uns all die fetten Jahre Vorgelebte nur ansatzweise durch eigenene Leistung nachvollziehen zu können.

Das war dann doch sehr ernüchternd.

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