Sonntag, 14. August 2011

Der Omburgsmann

Schweden:Italien: unentschieden      Ölkreide
Soederquist, der gar nicht so alte Schwede vom oberen Ortseingang, ist jedenfalls nicht so ein Do-it-yourself-Trottel wie ich (der ja bekanntlich über zwei linke Hände verfügt,die nur mit Daumen versehen sind...).
Soederquist hat im Alleingang, und nur im Urlaub, aus dem damals schon  hübschen Torhäuschen, dass er einer Deutschen Lehrerin vor ein paar Jahren abgekauft hat, ein echtes Schmuckkästchen gemacht. Er spricht außer Schwedisch nur vereinzelt Englisch, was seine Bauarbeiten ohne Hinzuziehung von Einheimischen in Titanen-Dimensionen erhebt.
Seit er nicht nur eine herrliche Terrasse hinzugefügt, sondern auch eine Trennmauer zum ominösen Parkplatz am Ende der berüchtigten Konsortiumsstraße wieder aufgeschichtet hat, ist sein Haus ein beliebtes Ferien-Domizil seiner Landsleute, die außer Schwedisch auch nur vereinzelt Englisch sprechen.
Wer die Dichte im Vorkommen böser Burggeister da oben aus meinen vergangen Posts kennt, kann vielleicht erahnen, dass es die kühlen Klaren aus dem hohen Norden nicht immer ganz einfach haben. Obwohl ja jeder Schwede quasi automatisch reichlich Gene von Rallye-Weltmeistern und Orientierungslauf-Champions in seinen Adern pulsieren lässt, tun sie sich hier oft schon schwer damit, das Mietobjekt überhaupt zu finden. Nach der beschwerlich langen Anreise mit GPS liegen dann im Erfolgsfall oft die Nerven endgültig blank, wenn sie die Kosortiumsstraße als letztes Hindernis vor dem entspannten Urlaubsspaß vorfinden...

Das dramatische Ende einer solchen Anreise hatte ich vor ein paar Wochen zu schiedsrichtern. Es war schon längst dunkel. Da klingelte Signora Electra und hatte Majestix dabei. Das klingt verworren - ich weiß - aber gemach. Signora Electra, die Seelensammlerin, sieht mich schon des längeren und zunehmend als Problemlöser für die eher weltlichen Dinge im Borgo: Ein Postbote, der unter dem Wirrwarr der neu angebrachten Hausnummern zu scheitern droht, wird genauso zu mir geleitet, wie Lieferanten, die etwas für ausländische Empfänger abzugeben haben. Da kann es auch schon mal passieren, dass  "DER SPIEGEL", der für einen Dauer-Residenten am oberen Dorfrand bestimmt ist, mir aus Bequemlichkeit zur Weitergaben in die Hand gedrückt wird.
Aber der Fall Majestix, das sah man schon an den angespannten Mienen, lag diesmal weitaus dramatischer. Wobei ich nachtragen muss, dass Majestix eigentlich Torto heißt und nur deshalb von mir so genannt wird, weil seine Frau Milena exakt aussieht wie Gutemiene, die Comic-Ehefrau des gallischen Stammesfürsten aus "Asterix und Obelix". Majestix also spricht außer ligurischem Dialekt vereinzelt Italienisch.

Es überrascht mich selber immer wieder, wie ich in dieser babylonischen Sprachverwirrung meist alles verstehe, Sachverhalte erklären und gelegentlich sogar eine Lösung herbeiführen kann.

Was war geschehen:
Der Gast-Schwede war mit seinem Riesen-Schlitten schon an der ersten Harnadel-Kurve der Konsortiumsstraße gescheitert und hatte offenbar Angst Kupplung und Bremse seines Lieblings zu schädigen. Torto kam gerade in seinem italienischen Kleinwagen hinterher gefahren, und da er ja sowieso nicht vorbeikam, erbot er sich das Auto des Schweden samt Gemahlin zum Parkplatz hochzufahren. Was ihm - natürlich nicht ohne Stolz - mühelos gelang. Ob das den Schweden wurmte oder es nur seinem schwedischen Sinn für Fairdeal geschuldet war: Er setzte sich in Tortos Auto, um ihm hinterher zu fahren. Dabei gelang ihm das einmalige Kuststück auf etwa fünfhundert Metern dem Torto nicht nur die neue Kupplung, sondern auch die vor kurzem ausgetauschten Bremsbeläge so zu ruinieren, dass dem Hilfreichen ein Schaden von 750 Euro entstand.
Nun wollte er Schadensersatz von dem Schweden.

Das war genau so eine rechtliche Situation, mit der uns unser Juristen-Vater als wir klein waren, am sonntäglichen Frühstückstisch gerne genervt hatte. Aber jetzt half es, dem armen Torto auf dem Weg nach oben in meinem Speisekarten-Italienisch klar zu machen, dass eine Gefälligkeit vor Gericht kaum als Rechtsgeschäft angesehen würde, und er kaum eine Chance hätte, wenn es nicht zu einem Gentleman-Agreement käme.
"Ja, mach Du nur!", meinte Majestix lapidar.

Mir war klar, dass der Schwede als solcher ja im Alltag mit Ombudsmännern (außergerichtlichen Mittelsmännern) aufwächst. Sich so einem Verfahren also sicher stellen würde. Deshalb versuchte ich bei nächtlichen 30 Grad das Eis mit einem Späßchen zu brechen: Ich sei kein Ombuds- sondern eher ein Omburgsmann. Was entweder auf Humorlosigkeit oder Unverständnis stieß.
Kein verheißungsvoller Auftakt. Die Fronten verhärteten sich noch, indem der Schwede immer wieder verdeutlichte, dass er alles andere als reich sei. Da konnte Majestix nur mit seiner schrecklichen Armut kontern, die sich über geschätzte zwei Bergrücken Agrargrundbesitz zieht.
So kamen wir also nicht weiter, und deshalb wurde ich sehr theatralisch. Es sei eine "question of honour" sagte ich dem Schweden und "una cosa d`onore" dem Italiener. Und dass ich dann vor lauter Scham  wohl gehen müsse.
Immer mehr Dorfbewohner wurden Zeugen dieser  nordsüdlichen "Commedia dell'Arte". Am Ende fragten mich dann beide, was ich denn riete.
"Macht Halbehalbe!"
Finalmente war der Schwede bereit, 300 Euro aus seiner strapazierten Reisekasse zu nehmen. Torto war nach anfänglichem Zögern dann auch einverstanden. Und so lagen sie sich am Ende - ohne mich weiter wahrzunehmen -  in den Armen, während ich allein, unbeachtet und völlig erschöpft wieder nach unten schlich.

Nachspiel: Vorgestern Nacht klingelt es an der Haustür. Weil wir nicht jedesmal die drei Stockwerke runterrennen, öffnete meine Frau das Fenster zur Piazza und fragte nach dem Begehr, den sie natütrlich wieder mal nicht verstand: Da wolle mir einer mitten in der Nacht Wein verkaufen, meinte sie. Im Dunkel der Piazza war der Mann nicht zu erkennen, aber dann begriff ich endlich doch, dass es Torto war, der sich mit zwei Flaschen Wein für meine Vermittlung bedanken wollte.
Die eine Flasche war sein selbst gekelterter Bio-Pigato, ein wahrer Ko-Tropfen, der ich meine Nacht mit Ginger verdankte (siehe letztes Post)...

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