Samstag, 20. August 2011

Grenzenloses Wachstum

Wenn die Wirtschaftsexperten die Welt in ihrem Wachstumswahn weiterhin wahrnehmungsgestört und wandelsresistent regieren, ergeht es wohl unserem Planeten global  bald so wie dem Kletterjasmin auf der anderen Seite unserer Gasse: Er gerät außer Kontrolle!

Auch über seine Zukunft haben diverse Experten, damals  2005 als unser Haus zum Außenanstrich eigerüstet war, heftig gestritten. Die einen Nachbarn, in deren Cantine das haardünne Wurzelwerk zerstörerisch durch die Trockenmauern vorgedrungen war, wollten ihn rausreißen und chemisch bekämpfen, andere schlugen dirigistische Maßnahmen wie regelmäßiges Beschneiden vor, und die Gemäßigten wollten bloß der Natur ihren freien Lauf lassen. So nach dem Motto: Die Natur fände ja immer von selbst eine verträgliche Lösung.

Alle lagen schief: die, die  heimlich hergegangen waren, um ihn knapp über dem Pflaster abzusäbeln, aber auch die, die dem Stumpf nach der Amputation Regenerationsmaßnahmen angedeihen ließen...
Es ist eine Tatsache - und damit lagen dann  auch die liberalen Bewohner des Borgos schief - dass die Natur nicht nur den menschlichen Größenwahn überlebt, sondern ihn regelrecht platt macht, wenn man ihr nur die Gelegenheit dazu gibt.

Neulich habe ich hier  via Satellit einen Naturfilm aus der kontaminierten und entsiedelten Sperrzone rund um Tschernobil gesehen. Ein Vierteljahrhundert nach der Nuklearkatastrophe hat sich die Natur dort quasi alles zurückerobert oder besser unter den Nagel gerissen. Die Botaniker und Zoologen sprechen von einer der artenreichsten, "naturbelasssenen" Zonen im eurasischen Raum. Die Halbwertzeiten  der  radioaktiven Strahlungen schaden nämlich nachhaltig nur dem in langen Zyklen lebenden Menschen. Die Wildtiere leben alle nicht lange genug, um den schädlichen Einfluss der Strahlung auf  die Nahrungskette und ihr Erbgut  sowie den wuchernden Lebensraum einschränkend zu erleben... Warten wir auf die Mutanten.

Obwohl also dieser imnmerzu  weißblau blühende Jasmin unter Kontrolle stehen sollte, hat er sich in diesem oft nur teilzeitbelebten  Dorf  mittlerweile ein beängstigendes Herrschaftspotenzial erklettert: Aus den Ritzen der  Stufen eines uralten Weges zwischen zwei Häusern auf der anderen Seite der Gasse hat er sich nicht nur wie eine Liane an einer glatten Wand emporgeschwungen, sondern hat dann an einem Kabel hangelnd die Seiten  - zu unserem Haus hinüber - gewechselt. Drei unserer Fenster hat er schon okkupiert, während er sich bereits auf den Weg macht,  auch die Burg selbst jenseits der Piazza eines nicht allzu fernen Tages in ein "Dornjasminchen-Schloss" zu verwandeln.

Die italienische Post, aber auch die Stromversorger ignorieren die Gefahr noch. Ich aber weiß genau, was auf uns zukommt...
Diesen Herbst werde ich ihm die Schlagläden noch aus den gierig wuchernden Schlingen reißen. Aber was wird sein, wenn ich im nächsten Frühjahr zurück komme und wieder Burgbriefe schreiben möchte? Muss ich dann eine Machete neben der Tastatur liegen haben und die Webcam vom Wuchern befreien? Die Datenleitung hat der Jasmin ja bereits eingewickelt. Wird er dann abends bestimmen, was wir im Fernsehen gucken, wenn er auch noch die Satellitenschüssel umkränzt? Vorboten haben ihre Ranken ja bereits in Richtung oberste Etage ausgestreckt. Das sind jetzt schon rund 13 Höhenmeter, die er überklettert hat.

Ironie des Schicksals: Wir hatten uns für den Portico unserer Terrasse ein Pflänzchen der gleichen Gattung gekauft, damit es ihn - angespornt vom  beeindruckenden Beispiel weiter unten (noch) - baldigst überwuchern möge. Das Jasminchen aber verweigert schlicht jeglichesWachstum .

Da sind jetzt eindeutig echte Wachstumsexperten gefragt...

Rösler hilf!

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