Dienstag, 26. Juli 2011

Urängste 2

Die letzte Frucht am Baum der Erkenntnis                  Oil on Canvas






















Hätten die skandinavischen Literatur-Genies in ihren Krimis nicht schon seit Jahrzehnten so realistisch in die abgründigen Seelen ihrer Landsleute geschaut, wäre mein Schock über die Vorkommnisse in Norwegen noch größer gewesen. Bis jetzt konnte man davon ausgehen, dass der Terror durch ihre Freizügigkeit in die Nordländer importiert wurde. Nun ist die Erkenntnis da, dass das letzte gewaltfreie Paradis Europas  durch die Wut eines Gestörten auf genau diese Verhältnisse zu Fall gebracht wurde... Während zweier Jahrzehnte war ich alljährlich mindesten einmal in Norwegen. Es war immer das Land, in dem ich auf meinen Reisen am wenigsten Angst hatte.

Vor kurzem schrieb ich an dieser Stelle von der Dankbarkeit, zu einer Generation zu gehören, die auf dem Territorium ihres Vaterlandes keinen Krieg zu erdulden hatte. Ich war allerdings nicht mutig genug, zu gestehen, dass die Urangst vor etwas die ganze Welt Erschütternden mich bis hier hinauf auf den Burgberg verfolgt, und dass mich dieses zunächst vollständige und nun auf Teilzeitbasis gelebte Exil nicht wie erhofft vor ihr bewahrt. Im Zeitalter von Satelliten-Fernsehen und Internet aber auch bedingt durch das Alter bin ich dieser Urangst zunehmend hilflos ausgesetzt. Das Jahr 2010 war schon irgendwie apokalyptisch. Nun hat ihm 2011 längst schon den Horror-Rang abgelaufen.

Die Jugend kompensiert offenbar diese Ängste durch den eigenen Lebenskampf. Sonst hätte ich die Acceleration doch schon früher bemerken müssen. Meine ersten Olympischen Spiele als Journalist 1972 waren der Auftakt des Terrors. Gerade hatte ich  noch erlebt, wie ein ungedopter, langbeiniger deutscher Teenager sich beim Hochsprung unfassbar in den Nachthimmel von München zu Gold geflopt hat, da war der olympische Friede am nächsten Morgen auch schon auf immer gestört. Vier Jahre später waren die Olympischen Spiele von Montreal durch den stetig wachsenden internationalen Terrorismus schon ein derartiges Sicherheitsbollwerk, dass eine der großen Stories meines Lebens buchstäblich zwischen den Leibern einer überängstlichen Antiterror-Einheit eingeklemmt wurde und ungeschrieben blieb. Und dann Sarajewo, wo Soldaten während der Spiele 1984 auf mich anlegten, weil ich in der frisch verschneiten nächtlichen Altstadt  mit ihren Minaretts eine Automatik-Kamera rot blinkend und selbstauslösend in den Schnee gelegt hatte.

Sarajevo war ja dann auch das Mentekel für den Irrglauben im Traum, irgendetwas würde sich nach Fall von Mauer und Eisernem Vorhang im Wiedervereinigen zum Besseren wenden. Ist es  der Alterspesssimimus, den ich der Elterngeneration immer vorgeworfen habe, oder naschen wir vor der herannahenden Feuersbrunst bereits ungeniert von der letzten Frucht am Baum der Erkenntnis?

Angesichts der Tragödie um Fukushima wollte ich an dieser Stelle nicht den Erdstoß thematisieren, der unser Haus hier vor rund zwei Wochen erschüttert hatte. Es war von den vier Erdstößen, die ich im Laufe meines Lebens in verschiedenen Winkeln der Welt erleben musste der bei weitem leichteste. Aber er löste angesichts der Umstände in diesem Jahr den größten Schrecken aus. Schließlich liegen die französichen AKWs im Rhonetal nur gut zwei Westwind-Stunden von uns entfernt...

Ja, und dann war es dann doch diese einzigartige Jetztzeit, die wieder für Beruhigung sorgte: Ein Blick auf den Erdbeben-Monitor im Internet vergewisserte innerhalb einer Viertelstunde die Stärke des Ausläufers und die im Epizentrum knapp 60 Kilometer vor Korsikas Westküste in  rund sechs Kilometer Meerestiefe...
Erschütternd aber nicht zerschmetternd - vielleicht wieder mal eine Ermahnung.

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