Mittwoch, 13. Juli 2011

Schwarze Sauce gegen schwarze Gedanken

Al Nero Di Seppia                        Acryl-Aquarell auf Ölblock




Boba Fett. der aus den Starwars berüchtigte, intergalaktische Kopfgeldjäger aus dem Clan der Fett-Replikanten hatte gestern eine Sneakpreview für das obige Aquarell. Er meinte, dass der Kopffüßler aus der Sepiagruppe doch recht böse schaue. Natürlich weiß so ein Rumtreiber zwischen den Gestirnen eher wenig vom Wesen solcher Unterwasserspezies.
Obwohl die ja seit Jahrmillionen schon das Rückstoßprinzip anwendet, das letztlich Eingang in die Welraumfahrt fand.
Gut gelaunte Sepien fächeln sich mit ihrem seitlichen Flossenkranz normalerweise gemütlich spazieren. Nur beim Auftauchen von Freßfeinden - also in Stress- und Notsituationen - werfen sie den Raketenantrieb an und verschwinden rückwärts davonschießend, den Feind in einer sogenannten Tintenwolke zurücklassend. - Da wird man dann doch wohl mal böse schauen dürfen?...

Bobas Freß-Kumpan, Dr. Elmo, hätte so etwas natürlich gewusst, aber er lauert ja auf diesen Blog, um Rezepte abzugreifen und nicht um zoologische Excurse mitzumachen.  Auch er muss nun erst noch auf den Hummer weiter unten warten, weil der Sugo Nero um den es heute geht, eben mehr ist als eine manchen unheimlich eklig vorkommende Sauce, mit der man sich auf  immer und ewig Hemden und Blusen versauen kann. - Wenn man sich nicht nach Mafiaart eine Riesenserviette umbindet. Aber davon später.

Die Gelehrten des Altertums rund ums Mittelmeer hatten die Sepia-Tinte schon längst als Schreib- und Malfarbe entdeckt, als die Klosterbrüder im Norden beim Aufzeichnen ihrer Chroniken noch reihenweise aus ihren Bänken kippten, weil sie ihre in Eisengallus getauchten Federkiele ableckten, um sie gesschmeidig zu machen. Die ursprünglich aus Arabien stammende Tinktur dieser noch heute für wichtige Dokumente gebräuchlichen Tinte - war lange Zeit unerkannt - nämlich ziemlich giftig und wirkte sich bei längerem Mißbrauch aufs zentrale Nervensystem aus.

Dem Sekret aus den Drüsen der Sepien wird hingegen das genaue Gegenteil zugeschrieben. Für die homöopathische Behandlung von seelischen Erkrankungen soll das Melanin in dem schwarzen Farbstoff chemisch aufgedröselt wahre Wunder wirken. Man könnte sogar sagen, je schwärzer der Sugo Nero desto besser für die Seele...

Rund um den italienischen Stiefel werden Risotto oder hausgemachte Tagliatelle Al Nero Di Seppia angeboten. Jede Region hat ihre eigenen Rezepte, mit der sie natürlich auch entsprechende Mythen verarbeitet. In Zeiten vorgeputzer Sepia-Bälger und separat verpackter Tinte aus dem Kühlregal wird das Nachkochen natürlich eher profan. Wann gäbe es denn in deutschen Fischgeschäften mal fangfrische Seppioline die noch in ihrer Tinte liegen? Von den großen Brummern ganz zu schweigen...

Übrigens habe ich bei einem australischen Fischer japanischer Abstammung  an der Ostküste nahe Cairns mal  ein Exemplar der Sepia im Boot gesehen, dessen Augen groß wie Untertassen  waren. Auf die Frage, ob das Riesending denn noch essbar sei, schaute  er mich nur verständnislos an, denn ein guter Prozentsatz der kunstvoll mit dem Spezialmesser geschnitzten Tintenfisch-Stücke in der Chinesischen und Japanischen Küche stammen von solchen Monstern. Sugo Nero habe ich in Asien jedenfalls noch nie angeboten bekommen - obwohl ich mir eine Verfeinerung mit frischem Ingwer und "Süßer Sojasauße", ergänzt durch einen Hauch frischen, grünen Korrianders nur zu gut vorstellen könnte... Aber das ist ja nicht unser heutiges Thema!

Hier in der ligurischen Wahlheimat wird Al Nero Di Seppia dem Wesen der hiesigen Kochkunst gemäß nahezu natürlich belassen. Was lecker ist, wenn der Koch ein Ei mehr an die selbst gemachte Pasta gibt.
Den ganz großen Hype machen die Bewohner der Lagune von Venedig aus ihren schwarzen Sepiagerichten, die gerne auch mal mit Mais-Polenta serviert werden. Unvergessen bleibt mein Kleinkrieg mit dem Wirt von  "All'Antiqua Mola" am Canareggio. Obwohl es eine Sünde ist (un pecato!), bestelle ich gerne einen Hauch Parmesan zum Sugo Nero. Zehn Jahre lang bin ich immer wieder in dieses Restaurant gegangen und habe nie meinen Streukäse bekommen. Aber einmal hat es der Wirt dann doch auf die Spitze getrieben: Nach gefühlten hundert "porto subito!", dem Zahlen und der Abschiedsgrappa lief er mir noch fünfzig Meter auf der Mole hinterher und rief  dann mit dem Schüsselchen in der Hand: "Ecco il Parmigiano!"

Sorry! Die Story war gut, aber den Weg zu meinem Herzen gefunden hat vor über 25 Jahren mit ihrem Sugo Nero Signora Zavoca aus Acitrezza an den sizilianischen Faraglionen. Seither koche ich nur dieses Rezept, und wenn ich den ersten Bissen nehme, spult sich ein einzigartiger Film vom Ostern 1985 ab:

Normalerweise vermied ich bei Reportagen Feiertage. Aber unter dem Ätna sind die Osterprozessionen in der Settimana Santa von einzigartiger Atmosphäre. Vor lauter Fotografiererei habe ich dann auf mein eigenes Seelenheil am Ostersonntag (einhergehend mit gesättigtem Wohlbefinden) vergessen. Da stand ich nun am Hafenbecken von Acitrezza und hoffte bei Signora Zavoca unterzukommen, die mich ein paar Tage zuvor noch mütterlich fürsorglich in ihre Töpfe und Pfannen hatte gucken lassen. Aber was war aus ihrem kleinen - vielleicht sechs Tische beherbergenden - Restaurant geworden? Die ganze Kai-Zufahrt stand voll mit zusätzlichen Tischen, und die gesamte Verwandtschaft aus dem Hinterland jonglierte mit Tellern, Flaschen und Brotkörben durch sie hindurch.
"Nein, beim besten Willen nicht! Ich kann Ihnen heute keinen Einzeltisch aufstellen."
Da hörte ich hinter mir eine sonore Stimme, die Mafia-Englisch sprach:
"Gib Bud Spencer einen Kuss, und sag ihm, er soll sich zu uns setzen."
Da tippelte ein kleines, engelhaftes Mädchen auf mich zu., zupfte an meiner Hose, damit ich mich hinunter beugte und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. An der Tafel, an die ich gebeten wurde, entstand kurz heischende Unruhe, dann ward Platz geschaffen neben einem jesusmäßigen Typen, der den Arm um mich legte, als sei ich der älteste Freund in der Tafelrunde.
- Und dann kamen die Seppioline als Secondo. Diesmal zusammen mit Pasta-Fetzen - also nicht als Tagliolini, Spaghettini  oder Tagliatelle geschnitten, sondern im wahrsten Sinne "stracciata". Hier das nachgeschmeckte Rezept, und wenn Ihr lieb seid, verrate ich Euch beim nächsten Mal, wie Signora dann auch noch ihren Nachtisch Ananas Arabica für all die vielen Leute gezaubert: hat.


Al Nero Di Seppia - gezaubert von Signora Zavoca

Vorbereitung:

Dieses Rezept geht natürlich für vier Personen auch mit vorgeputzten großen Seppie und der verpackten Tinte (jeweils aus dem Kühlregal).. Es läßt sich - wie beschrieben - sowohl für Pasta als auch Risotto verwenden. Wobei der Reis bei der Risotto-Version in dem Moment hinzugegeben wird, indem auch die Tinte in den Topf kommt (die etwa 20 Minunten Garzeit für den Reis unter permanentem  Rühren und dosierter Zugabe von Fischfond und Marsalla reichen  auch für den Sugo). Bei Pasta macht man den Sugo fertig, hebt die mit Biss gekochten Teigwaren erst vor dem Servieren darunter und läßt sie dann bis zur Schlunzigkeit unterm Deckel nachgaren. Wer die "Pecato-Diskussion" vermeiden will gibt einfach gleich ein paar Grano-Padano- oder Pecorino-Rinden während des Köchelns hinzu und nimmt sie vor dem Servieren raus. Schmeckt echt geiler!!!

Zubereitung
Für vier Personen entweder vierhundert Gramm Seppioline, die noch in der Tinte sind  (echter Glücksfall, wenn man nicht am Meer lebt) oder vier mittelgroße Seppie, die man Putzen läßt und den Fachverkäufer bittet, die Drüsen separiert (je 2) aufzuheben. Sie sehen silbrig aus und haben eine kleine Schwellung: Kaum zu glauben, wie farbintensiv die wirken! Seppioline mit einem Tourniermesser den Balg aufschlitzen und leeren. Bei Vorgeputzten den Fischhändler um die Drüsen von anderen Seppie bitten. Wie gesagt, die meisten finden Sugo Nero eklig.
In einem Mörser pro Person eine Schote Peperoncino und  eine mittelgroße Zehe roten Knoblauch mit  einem Teelöffel Meersalz und braunen Melassezucker sowie ungespritzter Zitronenschale nach Gusto zerreiben.
Die Seppioline ganz oder Briefmarken groß geschnittene Sepia-Stücke von größeren Exemplaren in reichlich gutem Olivenöl zart mit dem Mörserinhalt anschwitzen. Zwei Esslöffel gutes Tomatenmark oder besser noch selbst reduzierte, passierte Tomaten hinzugeben bis eine saffianfarbige Basis entsteht. Dann erst kommt die Tinte hinzu. Keine Angst, sie verbindet sich kaum mit der Masse. Soviel Tinte hinzugeben, bis der Sugo lampenschwarz wird, denn er ist zunächst rötlichbraun - also tatsächlich sepiafarben.
Signora Zavoca hat dann den Tropfentest gemacht. Wenn unter der Schwärze des Sugos ein Hauch von Rot zu erahnen ist, wird er angerichtet und serviert - auch als Hauptgang beispielsweise  mit Polenta.




Buon appetito!

P.S. Der Vollständigkeit halber sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass ich erst ein paar Jahre später erfuhr,dass mein Gastgeber das Oberhaupt des berüchtigten Pedemonteclans war, der seine legalen Operationen im Tourismus betrieb. Was einem namhaften Ferienclub-Betreiber nicht viel nutzte, als die Leute ihm - auf ihr Wasserrecht pochend - dasselbige regelrecht abgruben. So preiswert hatte noch nie ein komplettes Feriendorf seinen Besitzer gewechselt...

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