Sonntag, 15. Mai 2011

Maremonti








Maremonti - das ist eine Lebensformel ohnegleichen, aber auch eine Gleichung mit vielen Unbekannten, bei der sich einer leicht verrechnen kann. Maremonti, dieses einzigartige Leben zwischen Hochgebirge und Meer lässt sich in vielen Regionen Italiens führen, aber eben nicht mit diesem einmaligen Kontrast zwischen dem mediterranen Flair und bergbäuerlicher Einfachheit.

Wohlgemerkt, ich spreche vom Empfinden der Touristen oder jenen, die die Region aus gerade diesem Grund zur Wahlheimat erkoren haben. Bei den Einheimischen, den echten Ligurern, kommt das oft viel zwiespältiger rüber.

Zwei Beispiele: Der Hafenmeister unseres Circolo Nautico, ein echter uomo di mare konnte es nach seiner Pensionierung gar nicht erwarten, sich ein kleines Appartement in einer nahe gelegenen Skistation zu kaufen, um zweigleisig zu fahren, während Dario,der im Dunstkreis der Burg aufwuchs und als Fahnder zwangsweise auch mal ans Meer musste, erst aufgelebt ist, seit er nicht mehr hinunter fährt. Er hasst das Meer oder das Element Wasser. So genau ist das nicht herauszufinden. Legenden sind jedenfalls die Schilderungen von Freunden, die den dunkelbraunen, muskulösen Macho-Typen jedesmal erblassen sahen, wenn er nur bis zu den Waden ins Meer ging. Dario kann nicht schwimmen, und als sein Sohn in der Schule zum Schwimmunterricht musste, war ihm das (aus ideologischen Gründen?) gar nicht recht.

Von den insgesamt mehrere Jahrhunderte alten, einheimischen Nachbarn hier oben auf der Burg, haben viele während ihres langen Lebens das Meer nur aus dieser Talblick-Perspektive gesehen. Während die ausländischen Zuwanderer mit ihren Meerblick-Terrassen jedesmal ins Schwärmen geraten und es als Belohnung empfinden, wenn sie bei klarem Wetter Korsika quasi direkt unter sich sehen, zucken gli agricoltori nur mit den Achseln ohne aufzublicken. 

Warum? - Das Meer war halt immer schon da und hat weder Einfluss auf die Olivenernte noch auf das Jagdglück, verrichtet keine Arbeit im Gemüsegarten oder hilft nicht, die komplizierten Trockenmauern per Hand aufzuschichten. Mitunter fühlt man sich bei ihnen an den alten Spruch der Sarden erinnert: Quelli che provengono dal mare vogliono noi derubare. Die vom Meer kommen, wollen uns ausrauben...


In unserem Lebensmittelgeschäft gibt es keinen Fisch. Dieses Warenangebot überlässt man den Supermärkten zehn Fahrminuten tiefer im Tal. Hier oben gibt es in den Agriturismo-Kneipen zwar die beliebten, traditionellen ligurischen Gelage mit 12 oder mehr Gängen. Aber keiner davon besteht aus Fisch oder Meeresfrüchten, obwohl sich ja die moderne Kühltechnik auch hier durchgesetzt haben sollte. Macht nichts, denkt man: dafür gibt es eben die tollen Wildspezialitäten... 


Seit über einem Jahrzehnt lebe ich jetzt hier, aber ein unbeschadetes Stück Wildbret hatte ich noch nie auf dem Teller. Hase gibt es nur als Ragout, und Wildschwein als zerhackte Knochen in Sauce auf  Polenta. - Selbst dann nicht, als mein Bekannter Dario mit seiner Lupara völlig unwaidmännisch von seinem Balkon aus eine Bache abgeballert hat, die sich an seinen Weintrauben gütlich getan hatte. 


Jedenfalls fällt die Diskrepanz zwischen dem Jagdeifer und dessen verzehrbaren Resultat irgendwie auf. Kaum ist die Saison eröffnet, hallen die Eichen- und Olivenwälder ringsherum im Morgengrauen und in der Dämmerung vom dumpfen Wummern der Büchsen wider. Meist in Doppelschlägen, was die Munitionshersteller sicher freut, und unsere immer zahlreicher werdenden Wildschweine nicht weiter stört. Mitunter glaubt man sie vom benachbarten Bergrücken schweinisch kichern zu hören, denn die schlauen Paarzeher haben sich dann schon längst in ihre seit neuestem eingerichtete Schutzzone zurück gezogen, während sie außerhalb der stagione di caccia frech bis an den Dorfrand kommen. Was bei Spaziergängen in der Campagna mitunter für Begegnungen der nicht ganz ungefährlichen Art sorgt...


Im Gegensatz zu den ligurischen Bergbewohnern sind die Küstenbewohner viel stärker daran interessiert, den Dualismus des Maremonti zur Lebensart zu machen. Das hat natürlich historische Gründe, die Interessierte anderswo nachlesen sollten. Nur so viel: In den letzen Jahrhunderten wurde Ligurien so oft zwischen europäischen Machthabern hin und her gereicht, dass es überhaupt erstaunlich ist, dass sich eine italienische Identität herausbilden konnte. Während am Küstenstrich ständig andere Fahnen gehisst wurden, war das den Leuten in den Bergen weitestgehend wurst. Ähnlich wie die Piraten des Mittelalters waren die Behörden-Vertreter auch meist zu faul und ängstlich, sich in die Wehrdörfer hinaufzuwagen. Vielleicht erklärt das das Ungleichgewicht bei der jeweiligen Begehrlichkeit. 


Kaum jedenfalls sitzen sie unten im Sattel ihres Rennrades, streben sie auch schon landeinwärts die einsamen Pässe hinauf. An den großen kirchlichen Feiertagen stürmen Motorrad-Trecks die Bergrestaurants, und ganz Schlaue, denen es am Strand zu heiß wird, belagern dann die klaren Süßwassergumpen der Gebirgsbäche. die Laghetti


So erfüllt vom Abenteuer neigen sie dann daheim dazu, das Erlebte auch kulinarisch in Maremonti-Rezepte umzusetzen. Gerichte, bei denen auf  einzigartige Weise Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch, Wild und andere Produkte aus den Bergen miteinander kombiniert werden. Die ansonsten einfache, schnörkellose und sehr direkte ligurische Art zu kochen, steigert sich dabei dann  zu wahrlich empfehlenswerten Höhepunkten. Aber davon das nächste Mal.

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