Mittwoch, 18. Mai 2011

Fischer

Netzflicker                    Oil on Canvas
                                 



Wer sich den Film "Bourne Identity" mit Matt Damon anschaut, erhält in den ersten zehn Minuten eine gute Vorstellung davon, wie der alte Hafen von Oneglia vor einem Jahrzehnt ausgesehen hat. Das Boot L'Atlantide, dass den bewusstlos im Meer treibenden Bourne gerettet hat, liegt heute nach Fangfahrten immer noch am Pier. Allerdings ohne Respekt an die Seite gedrückt von den Mega-Yachten, die nun das Bild am Kai beherrschen, obwohl dort, wo einst "Imperia Mare" war, mittlerweile einer der größten Luxus-Häfen des nördlichen Mittelmeers entstanden ist. Viel Honorar scheint es damals für den Eigner auch nicht gegeben zu haben, denn der Trawler sieht immer noch aus wie der letzte Seelenverkäufer.

Dass ihm die Sechzigmeter-Yachten die Schau stehlen, ist volle Absicht der Kommune, denn längst ist die bunte Hafenzeile eine "Zona Divertimento", eine Vergnügungsmeile geworden, auf der sich ein Restaurant ans nächste reiht, ein Teilstück des Radwander-Fernweges von Diano nach Ventimiglia markiert ist und allenthalben kulturelle - und kommerzielle Veranstaltungen stattfinden. Verschwunden sind die Gleise für die Güterzüge, die einst das Öl nach ganz Europa schafften, verschwunden ist die Weltmarke Olio Sasso, und von den gespenstischen Riesenkränen sind am Westpier nur noch ein paar als Industrie-Denkmäler übrig geblieben. An seine einstige Bedeutung als Olivenöl-Hafen erinnern ein paar mal  im Jahr noch kleine Frachter, die Olivengranulat aus Nordafrika löschen, dessen Pressung nach EU-Norm das "Extra Vergine" strecken darf.

Tempus fugit - amor manet! Die Zeit vergeht, die Liebe bleibt. Ich liebe auch den Hafen mit seinem heutigen Flair. Wie sollte ich es auch wagen, nach etwas über einem Jahrzehnt den alten Zeiten nachzuweinen. Von dem kleinen Industrienest meiner Kindheit und der leicht verwahrlost wirkenden Kreisstadt Ende der 1990er hat sich Imperia mit seine beiden Ortsteilen Oneglia und Porto Maurizio zu einer für ihre Bewohner äußerst attraktiven Stadt mit diversen Lebensqualitäten gemausert.

Im Neudeutsch nennt man das ja gerne fälschlicher Weise einen Paradigmenwechsel. Fisch und Olivenöl spielen jedenfalls hier heutzutage nur noch eine Rolle auf den Esstischen. Als Wirtschaftsfaktor fallen sie kaum noch ins Gewicht. Zwei Beispiele:

Unser ortsansässiger Öl-Müller,  der Frantoio, kann uns sein unverschnittenes Extra Vergine nicht mehr unter 12 Euro pro Liter anbieten, wenn er wenigstens die Gestehungskosten hereinbekommen will. (Differenz zum Supermarkt bis zu 4 Euro plus pro Liter).Die 270 Jahre alten Nachbarsgeschwister Bolterrini, die gerüchtehalber zwei ganze Berge voller Oliventerrassen besitzen und nur noch eine Handvoll davon schaffen, sind nicht mehr in der Lage wie einst, die Erntezeit mit Krediten vorzufinanzieren. Eulalia, die eloquenteste der verbliebenen Drei erzählte mir  unter Tränen wie der Beamte der Landwirtschaftsbank sie bei seiner Verweigerung des Kredites damit tröstete, sie solle doch ihre Bauernrente genießen. Sie hätte doch alles... Würde die EU nicht Beschnittprämien ausloben und kräftig subventionieren, gäbe es eine europäische Kulturlandschaft weniger. Ein Facharbeiter, der hier ja meist per Hand ernten und beschneiden muss, schlägt mit rund 300 Euro pro Tag zu Buche...

Mitten zwischen den Kurven zu unserer Burg hinauf gab es eine kleine Bootswerft, die die für Ligurien typische "Barca da Pesca" mit dem hochgezogenen Vordersteven in Serie produzierte. In einem Anflug von Fischerromantik wollte ich genau so eine haben. Damals, im Jahr 2000, hätte ich eineinhalb Jahre auf sie warten müssen. Aber ich hatte Glück, weil deren Bootsmeister gerade einen handgemachten Prototyp in Kunststoff-Holz-Verbund zum Testen fertig gestellt hatte. Diesen weitestgehend handgemachten Prototypen verkaufte er mir zum halben Preis. Aber was viel entscheidender war, er verhalf mir in der Folge zu einer Vielzahl sozialer Kontakte, weil er erkannte, dass es mir vor allem - wenn ich das so nennen darf - um philosophisch-ideelle Ansprüche an den Besitz dieses Schiffes ging. Er wollte Bargeld. Deshalb trafen wir uns in meiner Bank, in der aber auch einer seiner Kumpel hinter dem Schalter Dienst tat. Der wiederum war der Kassenwart eines Circolo Nautico, der gerade seinen Gemeinde-Hafen erweitert hatte und mich einlud, als "amico di Sergio" doch Mitglied bei ihnen zu werden. Und so fanden mein Schiff und ich unter der Kirche von San Lorenzo al Mare einen Heimathafen. Kaum hatte ich fest gemacht und stromerte durch die Altstadt begrüßte micht schon jeder. Ah, Du bist der, der Sergios Boot gekauft hat. Jeder Barista, jeder Gastronom oder Gelati-Produzent war eben auch ein Socio im Circolo Nautico. So ist das bis heute.Unvergesslich die ersten gemeinsamen Fangfahrten im Morgengrauen und diese Kameradschaft ohne jegliches Fremdeln dem noch heute einzigen Ausländer gegenüber...

Aber was hat das ganze mit tempus fugit zu tun? Sergio starb die darauf folgenden Weihnachten an Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Die Werft musste im vergangenen Jahr Konkurs anmelden, obwohl sie eine Weile Flybridges für Großyachten in Ergänzung ihres Programmes auf Maß anfertigte. Dafür erhielt aber  ein Konsortium den Zuschlag, in einer Bucht unweit unseres Fischerhafens einen weiteren Yachthafen zu errichten. Es war die Bucht, in deren geschützter Lage die Brut für unseren vormals noch recht fischreichen Küstenabschnitt heranwuchs. Im gleichen Maße wie die Zahl der Yachten wuchs, schrumpften die Fischbestände. Der Preis für den Liter Diesel-Treibstoff hat sich seither vervierfacht. Viele meiner "Socii" ernähren ihre Familien zu einem nicht unwesentlichen Teil mit ihrem Petri Heil.

In den Fischauslagen der hiesigen Märkte überwiegt bereits das Angebot aus dem indischen Ozean und dem Nordatlantik. Ein Kilo im Mittelmeer gefangene Goldbrasse verhält sich im Preis zu einer im Mittelmeer gezüchteten Dorade in einer Diskrepanz, die auch der sensibelste Gaumen nur noch ideologisch rechtfertigen kann. Wer ist schon bereit 24.90 Euro pro Kilo auszugeben, wenn der Zuchtfisch weit unter der Hälfte über den Tresen geht...?

Und dann das noch: Einer meiner Freunde ist Steuerberater und hat Restaurantbesitzer als Klienten, die schon mal selbst hinaus aufs Meer fahren, um die Speisekarte zu bereichern. Oder sie kaufen die Fänge von privaten Freunden. Die Diskrepanz zwischen verkauften Fischmahlzeiten und fehlendem, einschlägigen Wareneinkauf hat jetzt verstärkt die Fahnder der Guardia di Finanza aktiviert.


Oneglia am alten Hafen                      Oil on Canvas
                               

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