Sonntag, 1. September 2013

Pasta-Protest

Wer einen gewissen Tachostand erreicht hat, kann auch auf eine Vielzahl modischer Irrungen und Wirrungen zurück blicken. Mit dem gewissen Abstand erkennt der Ehrliche dabei, dass er nicht jeden Trend freiwillig mitgemacht hat, sondern ihm gefolgt ist, weil er plötzlich "in" war.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten, heißt es dann oft zur Entschuldigung, aber das stimmt nicht. Es wird tatsächlich über nichts so ultimativ gestritten wie über persönlichen Geschmack, der anderen aufgenötigt werden soll oder mit dem jemand sich profilieren will. Die Zweitbeste und ich haben aus unseren beruflichen Anfängen eine wirklich gute Freundin für die alles, was sie gerade ohne Widerwillen überlebt, immer das "Bäääääste" ist, das man unbedingt zu probieren hat. Sie macht dabei aber auch nichts anderes, als die meisten Medien, die einem ja auch jede Woche alternativlos aufzwingen, was angesagt ist.

Seither schalte ich auf Durchzug und denke mir meinen Teil. Aber dabei möchte ich nicht versäumen, noch einmal grundsätzlich zu betonen, dass alles was ich zu Themen schreibe, ausschließlich mein persönlicher Geschmack oder grundsätzlich meine Meinung ist. Ich tue das, weil ich heute für diejenigen, die übereinstimmen, die Anleitung geben möchte, endlich eine "heilige Kuh" zu schlachten: Die ultimative Pasta-Philosophie.

Was habe ich nicht alles für Nudel-Moden mit mir herum geschleppt: Angefangen bei den langen, blauen Spaghetti-Packungen, die ich als Kind bei unseren Italien-Reisen von den jeweiligen Alimentari heim zu schleppen hatte, obwohl die kaum kürzer waren als ich. In den Supermärkten gingen diese langen Dinger natürlich gar nicht mehr, also schrumpften die Pasta-Packungen während sich ihr Inhalt über Jahre farblich und förmlich in immer neuen Variationen darbot und nur noch die Art der Verpackung Wertigkeit suggerierte. Hauptsache sie vermittelte das italienische Gefühl. Dabei soll doch erst Marco Polo und dessen Nachreisende die Italiener auf die Nudel gebracht haben, so wie die Auswanderer und die Gastarbeiter im Laufe des letzten Jahrhunderts den Rest der Welt! Der Grund war immer ein ganz profaner: Nahrhafte Kohlenhydrate konnten über lange Zeit und lange Strecken mitgenommen werden, um auf die Schnelle mit eine paar Zutaten den Magen schmackhaft zu füllen. Das war immer die Basis vom Glück. Pasta ist einfach Pasta - basta!

Entscheidend ist letztendlich, wie und mit welchen Zutaten sie zubereitet werden. Meine in Neapels Hell's Kitchen Pozzuoli geborene Nachbarin Petronella regt sich immer wieder darüber auf, dass ich behaupte, über 1000 Sugo-Rezepte kreiert zu haben. Es kommen sogar noch ständig neue dazu. Wenn Pasta im Haus ist, geht beinahe alles mit allem, was sonst noch so im Küchenschrank ist. Das ist mein Pasta-Credo!

Jetzt höre ich bereits den Europa weiten Aufschrei, all jener, die sich so eine Pasta-Maschine angeschafft haben und dem Imperativ gefolgt sind, nur selbst gemachte Pasta sei das einzig Wahre. Ich möchte gar nicht lange zum Ausdruck bringen, wie oft und wie sehr ich mich nach Nudeln aus der Discounter-Kette gesehnt habe, wenn mir bei einem privaten Gourmet-Treffen verkochtes, klebriges, wässriges und im schlimmsten Falle mehlig schleimiges Gemenge serviert wurde, über das ich auch noch erwartetes Lobsingen anheben sollte.

Also ihr Leute: Wer Nudeln selber machen will, braucht dazu keine Maschine. Um zu den Töchtern Pozzuolis zurück zu kommen: Die berühmteste von ihnen - Sofia Villani Scicolone, besser bekannt als Sophia Loren - trat in einem ihrer frühesten Filme in einem Pasta-Wettbewerb auf und hatte nur mit einem runden Stöckchen, einem Messer und ihren schönen Händen bewaffnet innerhalb von ein paar Minuten den Sieg davon getragen. Manche brauchen sogar nur ihre Hände, wie der thailändische Nudelmeister, der auf dem Dach des Robson Emporiums in Bangkok ein Restaurant mit nur 20 Plätzen betrieb. Waren sie nach einer Sitzung neu belegt, nahm er einen vor den Augen aller zubereiteten Teigball und zog ihn so oft auseinander bis eine ausreichend große Portion Cappelini entstand, für die seine "1000-Schätze-Suppe" so berühmt war.

Eine der tollsten Casareccia-Köchinnen, deren Meisterschaft ich genießen durfte, Signora Zavoca aus Acci Trezza an der sizilianischen Faraglionen-Küste - legte sogar überhaupt keinen Wert auf die geometrische Form ihrer Pasta. Sie rollte sie aus und zerriss sie einfach mit Daumen und Zeigefinger. Aber sie warf sie nicht einfach in kochendes Wasser, sondern versenkte die stracciate mittels eines Siebes, das sie auf die Sekunden genau heraus hob.

Das Entscheidende an selbst gemachten Nudeln ist mehr als bei der Fertig-Pasta das Timing. Aber es sollte auch Ehrgeiz vorhanden sein, den Gästen eine individuell entwickelte Pasta aufzutischen. Dazu braucht es Mut zu Experimenten: An der Kirche San Giovanni in Oneglia gibt es Pasta Fresca, bei deren Herstellung jeder zuschauen kann. Und immer wieder gibt es etwas Neues, an dem sich ein Nudeler daheim messen kann. So lange man aber selbst dieses Niveau nicht erreicht, um es seinen Gästen selbst gemacht zu servieren, sollte man es lieber weiterhin kaufen.

Tagliatelle al vino bianco muss ich dort zum Beispiel immer noch kaufen. Dabei klingt das doch so einfach: Zwei Eier, etwas Salz in eine Mulde von 200 Gramm Weizenmehl, und unter Zugießen eines Glases Weißwein geschmeidig verkneten...

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