Samstag, 7. September 2013

Il Signore 2

Zugegeben, es gibt Tage,  da fühle ich mich Il Signore so nahe, wie sich das für einen Agnostiker einfach nicht gehört. Da sitze ich auf der sehr hohen Eingangsstufe vom wieder in Rom malochenden Nachbarn Giancarlo in der Südost-Ecke des Burghofes und schaue in dieser einzigartigen Perspektive auf das Spektakel am Himmel. Unten die Piazza, der Burg-Brunnen, die von runden Bogen begrenzten Ausgänge; in der Mitte  die nordwestlichen Nachbarhäuser mit ihren dekorativen Abstufungen und darüber die Wolken über den Seealpen, die in dicken Wattebauschen gegen den mit ausgefransten Federwolken heranstürmenden  Mezzogiorno bestehen wollen.

Ich zeige dann mit dem Einlass begehrenden Zeigefinger, der den Burg-Geistern zu eigen ist, zum Himmel und sage zu der Zweitbesten, die im Schatten einen Krimi von Veit Heinichen liest:
„Schau mal der Mezzogiorno frisst gerade die Cumuli, äh ich meine die Haufen-Wolken.“
 „Die in Triest nennen diesen Wind übrigens die Bora!“, antwortet sie und ist schon wieder weg.

Ja, hurra, die Zweitbeste liest wieder! Seit die Nächte kühl sind, und einen mit herrlichem Tiefschlaf belohnen, verschlingt sie Bücher, als gäbe es sie morgen nicht mehr. Ich bin dann zwar weitestgehend abgemeldet, aber das ist mir egal, weil ich bei ihrem Anblick so herrlich in Erinnerungen schwelgen kann.

Das Abtauchen in Gedrucktem, das war in einer weit zurück liegenden Vergangenheit für mich immer das Zeichen, dass es ihr, der ehemaligen Buchhändlerin, gut geht. Da konnten Dutzende von Kindern um sie herumtoben, sich gegenseitig die Haare ausreißen, Erwachsene sie zwecks endlich erforderlichen Eingreifens ansprechen – durch nichts in der Welt, wäre sie in diesen Momenten der Welt ihres Lesestoffs entrückt.

Oft habe ich sie regelrecht rütteln müssen, um sie ins Hier und Jetzt zurück zu holen. Vielleicht sind unsere Kinder deshalb so unerschütterlich kreative Traumtänzer geworden. Sie mussten ihre Konflikt-Lösungen in der Lese-Agonie ihrer Mutter selbst finden. Das ist ihnen jedenfalls nicht schlecht gelungen, und die Zweitbeste ist stets recht stolz auf ihre „erzieherischen Fähigkeiten“ gewesen.

Aber in der Erinnerung taucht auch ein Schwur auf:
Es war im ersten Winter, nachdem wir das „Haus“ hier gekauft hatten. Die Ruine war eine Baustelle, und ich ganz alleine, weil die Bauarbeiter nicht erschienen waren. Auf der unfertigen Terrasse lagen Schutt- und Sandhaufen und dann kam der Tramontana und brachte in D-Zug-Geschwindigkeit aus Nordwest Regen in der Dichte einer Auto-Waschstraße heran. Die verstopfte Terrasse wurde zum Pool und ergoss sich nach und nach  in die darunter liegenden Zimmer. 24 Stunden schöpfte ich ohne Pause das ins Haus eindringende Wasser und schüttete die Eimer in die alte Badewanne. Dann ließ der Wind nach, und ich fiel in einen erschöpften Schlaf.
Als ich erwachte, fingerte die Sonne gerade an einem glasklaren Azur-Himmel über die östlichen Berge. Der Ort Lucinasco (der Lichtgeborene) auf der anderen Talseite funkelte im ersten Licht, und Olivastri tief unter uns sah aus wie das grüne Relief eines Landart-Künstlers.

Ohne groß zu überlegen, sagte ich laut zu dem Gott, an den ich eigentlich nicht glaube:
„Sollte ich jemals Zweifel an der Großartigkeit Deiner Schöpfung haben, darfst Du mich zu Recht mit einem Blitz aus heiterem Himmel erschlagen.“

Von diesen trockenen Blitzen gab es in diesem Sommer einige, die auch in meiner unmittelbaren Nähe einschlugen. Wollte Il Signore mich warnen, weil ich wegen Syrien, Ägypten und vor allem dieser Enttäuschung Obama wieder mehr zum Agnostiker geworden war? 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen