Montag, 16. September 2013

Eine Piazza voller Halb-Edelsteine

Lucido Autunno, der Dorfmaler, ist wieder im Borgo. Er kommt ja jedes Jahr, wie es ihm gefällt. Schließlich ist er ja auch ein angesagter  Meister von wirklichem Einfluss. Im vergangenen Jahr hatten wir seinen Einzug verpasst, aber dann drei  Monate bis Weihnachten hier oben  das beinahe exklusive Vergnügen gehabt, seine Meisterwerke zu betrachten. Es war faszinierend, wie er an den Perspektiven arbeitete, den Vordergrund in den Schatten legte, während er bei dem weiten Blick auf die blau gefärbten Berge den großen Bellini mühelos in denselben stellte. Aber nicht nur eben dieser Meister der endlosen Tiefe, sondern auch die Größen des Pointilismus, des Neo-Realismus und selbst die bedeutendsten Fresken-Maler aller Zeiten hätten sich – um das täglich geschaffene Oeuvre dieses Meisters annähernd zu erreichen - ihre Pinsel haarlos gemalt.

Eigentlich wollten wir ihn mit den Nachbarn heute auf der Piazza mit Tramezzini, Schälnüssen und rotem Wein willkommen heißen, aber er gab sich mal wieder unberechenbar. Entschuldigte sich, mit regnerischer Wolkenmalerei beschäftigt zu sein, wofür er eben Regen und Wind bräuchte - und keine euphorisierten Nachbarn in Feierlaune...

Als sich aber alle Burggeister anderen Dingen zugewandt hatten, kam er dann mit seinen Farben doch noch die Gasse hoch und sorgte auf der Piazza für eine einzigartige Kunst-Installation, die leider nur ich allein zu sehen bekam: Ich hockte in dem Doppel-Torbogen, unter dem die Stufen zur Hauptgasse hinunter führen. Also war ich für ihn nicht sofort zu sehen. Vermutlich hat er deshalb auf seiner Palette  mit den changierenden Farben ein wenig sorgloser experimentiert. Eindeutig hatte er den Pinsel mit der Goldbronze zu flach angesetzt. Denn würde er das immer so machen, hätten habgierige  Besucher längst Stein um Stein aus unserer Piazza gebrochen.

Nur bei diesem Licht nämlich wird der heimliche  Schatz des Borgos sichtbar. Die Grafen Gandolfo haben vermutlich einst die Piazza mit Moosachaten bepflastert, um eine stille Reserve jederzeit zur Verfügung zu haben. Jetzt bestrahlt der Meister sie so, dass man das  erkennen kann. Die abgelaufenen, schwarz kaschierten Kiesel-Knöpfe, die normalerweise zu sehen sind, werden nur so zu  den türkis-bräunlichgrünliche gemaserten Halb-Edelsteinen, die so unnachahmlich leuchten.

Ich kenne mich aus, denn der erste Ring, den ich der Zweitbesten von meinem kärglichen Lehrlingsgehalt zum Geburtstag gekauft habe, war ein in schlichtem Silber gefasster Moosachat. Da hatte sie sogar ein paar Tränchen in den Augen, und trug ihn auch ein paar Jahre. Später hat sie dann Gold mit richtigen Edelsteinen den Vorzug gegeben. – Auch ihre Romantik ist dabei ein wenig flöten gegangen, denn gerade schreit sie über die Piazza:
„Jetzt hör doch endlich auf  rumzuträumen und lass endlich diese Herbst-Larmoyanz! Hast du vergessen, dass du heute mit Kochen dran bist?“


Na dann – willkommen wieder  in der Wirklichkeit liebe Leser: Es gibt heute Faraona al Forno (Perlhuhn in der Raine) mit Basmati-Reis und Ingwer-Paprikagemüse an  Limonen-Soja-Sauce mit grünem Koriander. Blöd, dass Liebe tatsächlich doch mehr durch den Magen zu gehen scheint...

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