Dienstag, 10. September 2013

Herbst zeitlos

Ach, wie wünschte ich, ich wäre ein Zeitlosegewächs! Dann hätte ich das ganze Jahr hindurch Anlass, mich zu vermehren oder zu Blühen - und es gäbe diese Gemütsschwankungen nicht. Aber so wie es aussieht, scheine ich ein typischer Herbstzeitloser zu sein, denn mit der kürzeren Helligkeit kommt auch mein Mangel an Zeitgefühl ans Licht.

Die Zweitbeste, die auf alle Praxis bezogenen Dinge des Alltags immer eine Antwort hat, erklärt den Wesensunterschied unserer Charaktere damit, dass sie im Oktober das Licht der Welt erblickte, während ich ja ein Märzkind sei. Da prägende Eindrücke nach dem siebten Lebensmonat begännen, seien die ihren halt voller Licht und Wärme gewesen, während bei mir Kälte und kürzeren Tagen die Stimmung bestimmt hätten. Hausfrauen-Psychologie!

Über tausend Timelags und eine berufliche Ausrichtung, bei der der nächste Winter bereits am Ende seines Vorgängers begann, haben nämlich mein Zeit-Gefühl ein Leben lang komplett aus dem Takt gebracht.

Da wir uns schon in den kommenden Monaten um die (bereits ein Vierteljahr verspätete) Rente kümmern müssen, war ich der irrigen Ansicht, die kürzer werdenden Tage träfen mich nun nicht mehr so arg. Das Herbstlicht ist wundervoll, aber es schwindet eben dahin. Mir kommt das immer schneller vor. Eine Ewigkeit brauchte der Frühling heuer, um seine langen Tage zu entfalten. Aber nun, da es in den vergangenen acht Wochen nur ein paar mal kurz geregnet hat, scheinen die Tage auf dieser Seite des Jahres doppelt so schnell hinter den schütteren Wolken zu verschwinden.

Was macht mir das aus? Wo wir doch für die viele, frei zur Verfügung stehende Zeit weder Plan noch Stress haben. Ja aber: Ich beobachte mich dennoch dabei, wie mein zwangloser Alltag zunehmend von unbewussten Zeitabläufen geprägt wird. Und wehe, es passiert etwas, bevor ich in diesem heimlichen Ablauf meine Mitte gefunden habe. Dann bekomme ich nichts mehr auf die Reihe.

Zum Beispiel heute morgen. Die Nachbarn alarmierten mich durch die offenen Fenster, dass es in unserer Gasse wieder einen Einbruchsversuch und bei der Bar Girasole auch einen vollendeten Einbruch gegeben habe. Darauf hatte ich schon irgendwie gewartet, weil der Borgo jetzt wieder leerer geworden ist und die Diebe leichter feststellen können, wer am vergangenen Wochenende frisch angekommen und in der ersten Urlaubsseligkeit nachlässig ist. Das ist ihre Vorgehensweise, und  es stört  sie auch nicht, wenn dann jemand im Haus ist. Sie haben nämlich auch schon Betäubungsgas eingesetzt

Obwohl ich wusste, dass die Polizei nichts unternehmen würde, riet ich, sie zu informieren. Sie versprachen zumindest wieder die Streifen zu verstärken. Die Carabinieri hatten damit schon Erfolg, denn heuer wurden auch hier oben schon Banden festgenommen. Aber es werden eben immer mehr.

Als guter Nachbar bin ich sofort los und habe alle Häuser rund um die Piazza inspiziert, aber die sind ja zur Zeit verwaist. Also waren alle Schlösser intakt. Dafür gab es in meiner Küche eine Überschwemmung, denn ich hatte automatisch den randvollen Wasserkocher angestellt. Außerdem musste ich noch eine der streunenden Dorfkatzen daran hindern, sich für den Winter bei uns einzuquartieren, was mich wiederum daran hinderte dann der Zweitbesten mitzuteilen, dass ihr Morgen-Kaffee in der gewünschten Linkshänderinnen-Tasse neben den Sudokus bereit stünde. Kalter Kaffee!!!

Jetzt, da ich mich damit therapiere, diesen Post zu verfassen, ticke ich langsam wieder normal. Ist das denn zu fassen? Da bist du im Herbst des Lebens angekommen, hättest alle Zeit der Welt, um dich in Gelassenheit zu üben, aber du entpuppst dich immer noch als alter Hektiker...

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