Donnerstag, 28. Juni 2012

Die Cliquen


Castellinaria Kapitel 8
   Während Bernhard und Traute sich auf den Weg machten, ihr eher bescheidenes, bürgerliches Glück zu finden, hatten es andere mit weniger Startschwierigkeiten nach dem Krieg längst gemacht. Im deutschen Wirtschaftswunder hatten Altreiche sich schnell wieder erholt und Neureiche noch schneller die Gunst der Stunde genutzt, um sich einen sozialen Logenplatz zu sichern.
    Wenn die Firma oder die Praxis im Aufschwung florierte, die Villa am Stadtrand gebaut war und die Kinder ihr Abitur gemacht hatten, widmeten sich die Bundesbürger ihrer gesellschaftliche Position in Vereinen oder besser noch Clubs. Dabei wurde Tennis zum Golf der Postmoderne. Jeder, der mit dem Schwung seines Schlägers nur halbwegs um seinen wachsenden Wohlstandsbauch herumkam, verbrachte seine Freizeit nun damit, die kleine Filzkugel mehr oder weniger gekonnt über das Netz zu befördern. Wer in einem Club Mitglied war, gehörte zur Elite, fühlte und verhielt sich auch so.
   Jene, die keinen Konditionszuwachs durch diese Betätigung erzielten, verlagerten den sportlichen Ehrgeiz dann eben auf die Club-Terrasse, wo sie Kontakte knüpften und sich im Idealfall als Mäzene profilierten. Der deutsche Tennisboom der Achtziger hatte seinen Ursprung im Ehrgeiz dieser ersten Club-Funktionäre und ihrer Ehefrauen, die ihre talentierteren Sprösslinge von Turnier zu Turnier kutschierten. Aber nur wenigen gelang der tatsächliche sportliche Durchbruch und deshalb drehten sich die Terrassengespräche dann nicht selten um zwischenmenschliche Kontakte. Wer bei wem saß, wenn gefeiert oder bei Mitgliederversammlungen abgestimmt wurde, bekam auf einmal eine andere Gewichtung; nicht nur in den rheinischen Wirtschaftszentren, sondern auch in Schwaben und Bayern. Es bildeten sich Gruppen, deren Tonangeber mehr oder weniger  direkt vorschrieben, mit wem man im Club sprach und mit welchen anderen die eigenen Kinder Umgang pflegten.
Es entstanden Cliquen.
   Vom Klüngel zur Clique – das war für den Lenz, dem Jahrmarktshändler menschlicher Eitelkeiten eine einfache Folgerung. Diese Cliquen hatten ja meist Geld, und wenn das gesellschaftliche Ansehen der Außenseiter in den  Clubs einen Schubs brauchte, war er zur Stelle. Dazu musste er nicht mal Mitglied sein. Er hatte bundesweit genug Kontakte, um mal auf einen Drink oder zu einem exklusiven Essen auf die Tennisclub-Terrassen der Republik eingeladen zu werden.
   Vor allem bei Spielpausen und Schlechtwetter-Frust, die den Sportbetrieb eindämmten, schlug seine Stunde, wenn er durch Schilderung „seines Dorfes im Süden“ die  ja im Deutschen latent vorhandenen Sehnsüchte weckte. Jedenfalls waren seine ersten fünf Häuser in Castellinaria im Handumdrehen an Adepten solcher Cliquen verkauft. Zu einem - aus deutscher Sicht – Spottpreis, die dem Lenz aber immer noch einen satten Gewinn von mehreren hundert Prozent sicherten. Genug, um gleich noch ein paar Häuser in Castellinaria zu erwerben, denn von da an ergab sich ja quasi ein automatisches Marketing:
  
   Der bis jetzt noch im Club trotz seiner üppigen Spenden nicht so anerkannte Elektro-Großhändler spielt in der Senioren-Rangliste Forderung gegen den die  Cliquen-Meinung beherrschenden Zahnarzt. Verliert zwar, aber kann beim Seitenwechsel einen „Passierschlag“ landen, indem er von seinem gerade erworbenen  Haus auf einem ligurischen Burgberg schwadroniert. Nach  dem Spiel will der Zahn-Doktor natürlich mehr wissen, hat er doch ein paar geschwärzte Märker schon auf halben Weg in der Schweiz liegen.
   So entsteht im achtsam  vom Lenz gewahrten Spekulationsrhythmus im auferstandenen  Castellinaria eine merkwürdige Besiedlungsstruktur, die vielleicht einmal in ein paar hundert Jahren von Völkerkundlern analysiert werden wird:
   Am oberen Ortsrand siedelt sich vorwiegend eine rheinische Clique an, während Schwäbische Tennisspieler rund um die Burg ihre südliche Traum-Immobilie in Besitz nehmen. Aber die Zeit schreitet ja voran, und Animositäten, die einmal da waren, bilden sich dann wieder heraus. Vor allem dann wenn sich der Elektro-Großhändler bei einem Schleifen-Turnier in die Zahnarzt-Gattin verknallt, sie ver- und - nach Verkauf seiner Firma - ins romantische Castellinaria entführt. Seine und ihre Kinder, die als Erben heranwachsen reden da alsbald  nicht mehr miteinander, obwohl sie jedes Jahr im gleichen Dorf alle ihre Ferien verbringen.
   Oder der Autohändler aus Stuttgart erzählt seinem Nachbarn in Bad Canstatt von dem Umstand, dass da wegen Familien-Streitigkeiten bald ein Haus zum günstigen Verkauf steht und übersieht wie bei dem die Markstücke in den Pupillen erscheinen. Es gibt ja nicht nur einen Lenz auf der Welt. Zumal der ja mittlerweile auf die 80 zugeht und längst eine Riesenvilla am noblen Capo Berta mit seien Gewinnen erworben hat.
   Nun darf  aber der Leser nicht glauben, die Deutschen Hoffnungssuchenden hätten nur zu kaufen brauchen und wären dann gleich ins Fertige gezogen. Fast alle Objekte hielten nur der  ersten, euphorischen Besichtigung statt, ehe sie nach dem ersten längeren Aufenthalt ihre Macken preisgaben. Daraus entwickelte sich – wie später noch zu lesen sein wird – eine für den Hauptort unter der Burg ertragreiche Subwirtschaft in Form diverser am Bau engagierter Kleinunternehmen. – Ganz wie im Mittelalter!
   Und weil sich die Deutschen - ohne das Vermutlich zu  wissen - wie einst die Patrizier von San Gimignano verhielten, kam es beim weiteren Ausbau zu manch kuriosem, architektonischen Wettstreit, bei dem einer versuchte den anderen zu übertreffen. Es entstanden neue Zinnen und Bergfriede, ehe die Gemeinde den Auswüchsen einen Riegel in Form von dann doch erstaunlich strengem Denkmalschutz vorschob.
   Da nach oben Grenzen gesetzt wurden, ging es teilweise in den Untergrund. Auf einmal wurden aus ebenerdigen Kellergewölben Appartements und Cantine wechselten mehr oder weniger ohne das Katasteramt die Besitzer, was in der Gegenwart gerade zu bösem Erwachen bei der Nachbesteuerung und der Überprüfung der Kataster-Einträge führt.



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