Sonntag, 26. April 2015

Könnten wir reden?

In der anonymen Nachbarschaft der Großstadt kommt - selbst wenn man in einer Haus-Gemeinschaft wohnt - selten Nähe auf. Deshalb ist es ein angenehmer Kulturschock wenn sich unsere italienischen Nachbarn offenbar aufrichtig freuen, dass wir wieder auf der Burg sind.

Schon hängt wieder eine Tüte mit Frühjahrsgemüse an der Türklinke, und die Seelensammlerin baggert die Zweitbeste wegen allerlei bevorstehenden, feiertäglichen Engagements an. Bei unserer reizenden Lebensmittelhändlerin unten im Capo Luogo kommt es zu einem Dorfbrunnen-Effekt, wenn sich die Damen des Dorfes und meine Frau mit Küßchen Küßchen in den Armen liegen und glücklich sind, dass wohl der harte Winter auch hier vorüber ist.
Wir sind ja wieder mit den ersten Mauerseglern und Schwalben angekommen.

Trotz meiner Zurückhaltung in den ersten Wochen hier nimmt die Nachbarschaft auch von mir Kenntnis, und weiß bereits, dass ich am Punto-ENEL mit ein paar Bemerkungen in meinem schlechten Italienisch eine gruppendynamische Diskussion über die Preise für die Energie-Versorgung hier in Italien ausgelöst habe.

Es war die simple Frage, wie sich Durchschnitts-Familien bei der hier herrschenden Einkommens-Struktur überhaupt noch Strom und Gas leisten könnten? Je höher es in die Dörfer hinauf geht, desto teurer werden beide. Was wohl mit der jeweiligen Monopol-Stellung der Versorger zu tun hat.

Wenn es dann um Vergleiche mit Deutschland geht, wollen die Italiener gar nicht glauben, dass wir "billiger" davon kommen. Da verschweige ich natürlich, dass auch wir über die preislichen Folgen des Energiewandels meckern.

Überhaupt bringt dieses miteinander Reden überraschend viel europäische Solidarität hervor, und es bedarf dabei gar nicht mal der Hände und Füße. Wenn ich nicht weiter weiß, gibt es immer mehr von unseren Gastgebern, die mit ihren Deutschkenntnissen aushelfen. Vor 15 Jahren war das noch nicht so.

Gestern wurde hier als Halb-Feiertag das Ende des zweiten Weltkrieges und die Befreiung von den Deutschen gefeiert. Der Markt hatte dennoch offen, und rund herum gab es auch Stände, an denen politische Botschaften verteilt wurden.

Im Stamm-Café vor der Markthalle setzten wir uns unter Höflichkeits-Floskeln auf Italienisch zu einem gepflegten Herren, der ein wenig jünger war als wir. Als er merkte, dass wir Deutsch redeten, begann er mit nahezu perfektem, ein wenig eingerosteten Sprachkenntnissen eine Unterhaltung. Im Nu erfuhren wir, dass er sein Leben in Karlsruhe verbracht hat, wo heute noch alle Brüder, Nichten und Neffen wohnen. Letztere betreiben erfolgreich Restaurants. Er selbst war der einzige aus der Sippe, den das Heimweh nach Imperia zurück geführt hat.

Anlässlich des Gedenktages waren wir schnell bei Europa und der Flüchtlingspolitik, die die Gemeinschaft  auf die Probe stelle, wenn weiterhin nur acht von 20 Staaten der Europäischen Union im großen Stil Asylanten aufnähmen.

Der Italiener, der hier von seiner deutschen Rente lebt, beklagte, dass die Asylanten in Deutschland - ohne arbeiten zu dürfen oder zu können, ja schon besser lebten als mancher Rentner in Italien und in jedem Fall besser als dort, wo sie her kämen.

Für uns Deutsche - meinte ich vorsichtig - gälte es in jedem Fall in puncto Asyl historische Schuld ab zu tragen, und vielleicht gilt das ja auch ein wenig für Italien... Denn wir können heute immerhin frei über alles reden.

Wir werden es vielleicht nicht mehr erleben, aber eventuell  unsere Kindeskinder. Die sitzen hoffentlich einst in einem wieder blühenden Damaskus beim Mokka und werden von einem heim gekehrten Syrer auf Deutsch angesprochen, weil er das während seines Asyls in Deutschland gelernt hat.

HEIMWEH SOLLTE NICHT UNTERSCHÄTZT WERDEN!

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