Samstag, 15. September 2012

Vom Wechseln

Da bin ich wieder! Hab' schnell mal (nach fast einem Vierteljahr) die "vier Wände" gewechselt. Sind ja Gott sei Dank doch noch meist mehr: Vom nicht nur  während des Ramadans auch nachts kaum noch schlafenden Stadtteil im Münchner Norden hier hinauf zur ligurischen Burg-Einsamkeit. Ein Privileg fürwahr!
Da aber diverse Zipperlein mich in letzter Zeit doch häufiger zurück als voraus sehen lassen, bekommt das Wechseln schleichend ein neues, immer schwerer zu tragendes Gewicht.

Die asiatische Kampfsport-Philosophie, die ich einmal in einem Buch zu erläutern hatte, geht ja davon aus, dass sich der Sensei wie in einem Kreis von der Naivität  über das ultimative Erreichen der Meisterschaft wieder in die Reinheit des unbeleckten Kindes  zurück verwandelt. Deshalb tragen die Großmeister auch im Alter wieder einen weißen Gürtel  - wie die Anfänger.

Vielleicht hätte ich besser bei einer Sache bleiben sollen, dann hätte ich es  auch geschafft, zum Ende wieder am Anfang anzukommen - wie mein geschätzter Kollege Tiziano Terzani. Mein ganzes Leben war jedoch von Spuren- und sonstigen Wechseln geprägt, die ich hinnahm oder hinzunehmen hatte. Vom Geburtsort Hamburg als Neunjähriger ins völlig andere München. Vom linearen  "Mädchenberuf" Buchhändler zum Hals-und Beinbruch-Reporter, bei dem extreme Wechsel zur Tagesordnung gehörten. Einmal war ich bei 29 Grad minus zu einer Schlitten-Safari am Polarkreis nördlich vom finnischen Rovaniemi, um bei der Rückkehr gerade genug Zeit zu haben, zuhause den vorher gepackten Koffer für eine Produktion im 45 Grad heißen Senegal zu wechseln. Ich habe es geliebt, und über den Wechsel nicht sonderlich nachgedacht. Wie auch nicht über den Wechsel vom freien Reporter zum Unternehmer. Ich war eben jung.

Deshalb kam es mir auch gar nicht in den Sinn, Zweifel an dem Konzept mir zwei Wohnorten zu haben, als ich die Fünfzig überschritten hatte. Ich war ja immer noch mehr unterwegs als zuhause sesshaft, und selbst für die Suche nach dem Zweit-Domizil hatten wir ja eine Reise gemacht, bei der wir drei Wochen lang  jeden Tag wo anders waren.

Was treibt mich also zu diesen Zeilen? Die Erkenntnis, dass im Gegensatz zu den meisten Freunden, die jetzt erst das Unterwegssein geradezu rastlos für sich entdecken, meine Sesshaftigkeit ziemlich groteske Züge annimmt. Irgendein Romantiker hat einmal den Aphorismus geprägt, dass jeder Abschied einem kleinen Tod gleichkommt. Für mich, den routinierten "Abschiednehmer" war das vor ein paar Jahren noch zu belächelnder Kitsch. Jetzt ertappe ich mich dabei, dass ich den Ortswechsel regelrecht hinauszögere. Weil er mich aus meiner eingefahrenen Gemütlichkeitsroutine herausreißt und verlangt, dass ich darüber nachdenke, was ich alles mitnehmen muss. Das hat es doch nie gegeben! War es nicht so, dass wir uns den jeweiligen Stellungswechsel mit nur einem Handtäschchen erträumt hatten? - Pustekuchen! - Unten, zu Füßen der Burg wartet ein zentnerschwerer Koffer im Auto, dessen  Hochwuchtung ich nun schon die zweite Nacht in Folge aufschiebe.
Wohlgemerkt, wenn ich erst einmal angekommen bin, dann ist es einmalig, und es dauert auch höchsten 48 Stunden - dann will ich nie wieder weg (!?).
Natürlich versuche ich mich zusammenzureißen, indem ich an meine Eltern denke,die im eingeschlossenen Berlin ausgebombt wurden und mit meinen beiden Schwestern abenteuerlich durch den Kessel in das bereits von den Briten befreite Hamburg flohen. Was ist unserer Generation doch alles erspart geblieben! Jetzt sogar noch das Geld-Wechseln.

Naja nicht ganz! Neulich haben die Zweitbeste aller Ehefrauen und ich Station in Andeer zu Füßen des San Bernardinos gemacht. Ein zauberhaftes Örtchen und trotz der Juni-Bergsport-Hochsaison so schön (verdächtig?) ruhig.

Wie schnell verlernt man eigentlich etwas? Vor ein paar Jahren hatte ich die diversen  und aktuellen Devisen-Wechselkurse überall auf der Welt im Kopf und konnte sie dort auch mühelos umrechnen. Als ich in dem kleinen Bistro von Andeer für eine halbe Flasche Wein, ein Wasser und ein Tellerchen Bündner Fleisch 78 Schweizer Franken berappen musste, wurde ich blass. Die Zweitbeste beruhigte mich, indem sie meinte, in Euro sähe das doch nicht ganz so dramatisch aus... Als die Kreditkartenabrechnung kam, war der Unterschied verblüffend klein. Die Schweiz nähert sich nämlich mit ihrem Franken der Euro-Parität und dürfte damit bald zum teuersten Reiseland der Welt werden.
Vielleicht hätte  ich beizeiten  von der  Zweitbeste zu einer  Drittbesten, die - noch nicht in den Wechseljahren - besser rechnen kann, wechseln sollen. Aber wer nimmt mich denn noch - nach bald 40 Ehejahren?

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