Freitag, 21. September 2012

Velocità

Sind Vorurteile nicht etwas Wunderbares? Jeder italienische Maurer kann singen wie Caruso. Italiener sind die potentesten und unermüdlichsten Liebhaber. Aber die heißblütigen Kerle werden zu absoluten Jammerlappen, sobald sie wieder unter Mamas Fuchtel geraten... 

Doch eines ist nun unbestritten: Schon in deren Muttermilch ist soviel Benzin, dass die Ragazzi geradezu genetisch zu den temperamentvollsten und schnellsten Autofahrern der Welt gehören. Ferraristi, Maseratisti, Lamborghinisti - muss ich noch mehr aufzählen?

Ach? Der letzte italienische Fomel1-Weltmeister war der rundbäuchige Alberto Ascari 1952 und 1953? Na macht nix, aber Ferrari war eben noch sau erfolgreich.  - Durch einen gewissen Michael Schumacher?

Bin ich jetzt dabei mein Thema zu verfehlen? 
Darauf gekommen bin ich hier in meiner zweiten Heimat, weil die ligurischen Autofahrer unter eigenen Landsleuten soviel gelten wie die FFBler und DAHler aus ihrem Umland bei den Münchnern. Sie machen schon gerne mal den Winker links raus, um spontan nach rechts ab zu biegen. Während sich der Rest ihrer Landsleute einen Dreck um jegliche Geschwindigkeitsbegrenzung kümmert, habe ich hier offenbar immer das Glück, hinter denen zu landen, die die teils skurrilen Limits in diesem Lande mit Eifer unterbieten. 
Das ließe sich leicht mit dem hohen Altersdurchschnitt  in den Bergdörfern erklären. Ich fahre ja auch schon längst nicht mehr so schnell wie zu Beginn meiner Tage hier. Aber das stimmt nicht, wenn man dann in die endlich überholten Fahrzeuge guckt. Es sind alle Altersschichten, die sich dieser ungewohnten Tagträumerei hinter dem Lenkrad hingeben Dabei muss der Motorsport-Fan sich vergegenwärtigen, dass zwei der härtesten Rallyes in unmittelbarer Nachbarschaft stattfinden und wohl nicht wie andernorts auf Nachahmer abfärben: Sanremo und Ronde di Andora.

Wenn es in den Valle d'Olio schneit oder heftig regnet, findet Straßenverkehr einfach nicht statt. Winterreifen spart man sich. Selbst die Fahrzeuge, die Split streuen, fahren schon lange vor Eis und Schneefall, um dann nicht mehr rauszumüssen. Sie würden doch selber ausrutschen, denn die Steinchen sind dann längst vor dem ersten Frost und den höchstens ein paar Stunden liegen bleibenden Flocken aus den Spuren gefahren.

Haben Sie noch Verkehr oder stecken Sie schon im Traffico möchte man den alten Golfer-Spruch abgewandelt in den ligurischen Küstenstädten anwenden. Denn es kann  in der Rushhour schon mal passieren, dass Signora A Signora B im Gegenverkehr entdeckt und schnell mal den neuesten Klatsch austauscht. Und damit das nicht so frauenfeindlich stehen bleibt: Das scheint auch für die städtischen Busfahrer zu gelten, die sich offenbar viel zu selten aussprechen können.

Aber ganz ehrlich. Wen regt es auf, wenn er den Desperados oben auf den Autostrade wieder einmal heil entwischt ist. In den letzten 10 Tagen hatte ich viermal kurz nacheinander das Vergnügen von Chiasso nach Imperia zu fahren. Schon auf dem ersten Teilstück bis Mailand gibt man auf, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten, weil jeder aber auch jeder (auch fernreisende Ligurer?) so dicht auffährt, dass man die rot umrandeten Schilder nur noch als untere Richtgeschwindigkeit versteht. 

Extrem wird es auf der Stadtautobahn, auf der durchgehend 90 Kilometer pro Stunde vorgeschrieben sind, aber jeder auf den beiden linken Spuren mindestens 130 fahren muss, damit er nicht überrannt wird oder gar einen Stau erzeugt. Von Mailand nach Genua wird 160 oder noch mehr gefahren. Bei Baustellen, innerhalb derer dann 40 verlangt sind, geht das Gros nur leicht vom Gas, damit der gute Willen erkannt wird. Dazu muss der Ausländer aber wissen, dass die Polizia Stradale bei derart drastischen Überschreitungen gar nicht mehr auf den Punkte-Abzug zurückgreifen, sondern die Autos sofort beschlagnahmen und im schlimmsten Falle sogar zu Gunsten der Staatskasse versteigern lassen kann. 

Mario Monti hätte sofort keinen Streit mehr mit Angela Merkel, wenn er dieses Potenzial mal ausschöpfen würde.

Aber die Straßenverkehrsordnungshüter versuchen es lieber mit Streicheln und Drohen: Alle paar Kilometer fordert ein Leuchtschild: Bitte respektiert die Geschwindigkeitsbegrenzung. Und seitlich warnt dann eine Tafel gleich vor einer permanenten elektronischen Kontrolle. Weder bei der einen noch der anderen nimmt selbst ein Fiat-500-Fahrer seinen Bleifuß zurück. Die Rauschkugeln sind ja mittlerweile auch viel zu schnell geworden.

Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, hält wenigstens bei Autogrills und Tankstellen die vorgeschriebenen Geschwindigkeit ein: Denn kein italienischer Gendarm macht seine Überwachungen gerne ohne seinen frischen Espresso in Reichweite.

Schon wieder so ein Vorurteil...


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