Dienstag, 22. Mai 2012

Pronto! Prontoooo???

Klimawandel? Es ist saukalt auf der Burg, und beinahe drei Tage prasselte der gleiche Dauerregen herab, der auch die Erdbeben-Opfer 300 Kilometer nordöstlich zu allem Übel  noch heimsuchte...
Was macht man bei so einem Wetter, in dem man sich hier oben nebelumwoben vorkommt wie auf einer Hütte im Hochgebirge? Man greift sich ein Buch? Dreht die Musik im völlig ausgestorbenen Borgo auf volle Lautstärke? Entspannt?

Pustekuchen! Kaum ist das Wetter schlecht, schlägt die Stunde der Callcenter und der Telefon-Marketing-Agenturen. Nicht, dass die einem etwas verkaufen wollen. Nein, das haben die schon kapiert, dass das nach EU-Verordnung mittlerweile (auch in Italien) verboten ist und empfindlich bestraft wird. Es wird unter dem Vorwand der Serviceverbesserung Bestand nicht etwa nur gepflegt, sondern bis auf den blanken Nerven-Fels abgegrast.

An solchen Tagen sind wir immer ganz deprimiert, weil wir uns nach zwölf Jahren eingestehen müssen, wie schlecht wir die Landessprache immer noch verstehen. Dabei wird auch der Untereschied offenbar, anzurufen oder angerufen zu werden. Wenn ich mit Freunden, Handwerkern oder Dienstleistern telefoniere, lege ich mir mögliche Verständigungsklippen vorher im Google-Übersetzer frei und schlage oft dessen rauhe Übersetzungsbretter von einer zur anderen. Das klappt großartig. Selbst wenn ich manchmal runterstürze, geht die Konversation weiter, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am anderen Ende der Leitung ja wissen, dass ich weit vom fließenden Italienisch entfernt bin.

Den Profitelefonierern ist das egal. Sie müssen möglichst schnell ihre Listen abarbeiten, um provisionsschwangeren Vollzug zu dokumentieren. Klar, man kann sagen, man sei nicht interessiert, oder könne gerade nicht reden. Aber da unterschätzt der dumme Deutsche einfach die levantinische Hartnäckigkeit. Die sind wie Strandverkäufer. Ein Nein lassen sie nicht gelten, und meist haben sie für den Bestandskunden ja auch einen Köder, bei dem selbst der schlaueste Fisch beim dritten Mal zuschnappt und an der langen Leitung zappelt.

Am gestrigen Regentag waren also die konzertierten Energie-Versorger dran: Wieso wir denn immer noch den Uralt-Tarif hätten, wo es doch jetzt die vorteilhaften Tag-Nacht-Staffelungen gäbe? ENEL (Elektrizität) und ENI (Gas) heißen nicht nur am Telefon zum Verwechseln ähnlich, sondern arbeiten auch mit den gleichen Fang-Methoden. Wer in den Wintermonaten zum Heizen in seinen über 90 Zentimeter dicken Mauern für mehr als 500 Euro pro Monat Gas verbraucht, wir natürlich hellhörig. Und wenn die Kilowattleistung so beschränkt ist, dass sich der Strom  beim gleichzeitigen Betätigen von Computer, Waschmaschine und Espresso-Automaten beim Licht-Einschalten einfach abschaltet, der wünscht sich in so einem Moment der absoluten Dunkelheit auch eine sicherere Versorgung. Dazu kommt, dass die schlaueren Burgbewohner den Versorgern zunehmend durch Verwendung von Fotovoltaik, Sonnenkollektoren und Pellet-Öfen das Monopol abgraben. Sie müssen sich nach Jahren des automatischen Abkassierens einfach etwas einfallen lassen...

Aber Zeit ist eben Geld. Deshalb prasseln die Offerten mit gefühlten zweihundert Silben pro Sekunde gegen das Trommelfell und lösen zunächst den totalen Brain-Blackout aus. Solche Pausen mögen die gar nicht.
"Pronto! Prontoooo???"
Dann rappelt man sich mühsam das italienische Kleinhirn zusammen und erklärt, dass eben nicht so schnell gesprochen  werden darf. Das klappt aber dann bei den erneuten Versuchen jeweils nur etwa zehn Sekunden. Dann ist die alte Sprachgeschwindigkeit wieder erreicht. Aber da hat auch der dumme Deutsche längst begriffen, dass die Stimme am anderen Ende der Leitung den vorgefertigten Text abliest, und zwar zum vermutlich tausendsten Mal. Wenn ich eingehängt hatte, vergingen vielleicht ein paar Minuten, dann war wieder der Gnadenlose dran. Der Versuch, das Ganze auf eine persönlichere Ebene zu bewegen, führte zumindset zu einem Teilerfolg. Er war der Domenico und nannte mich jetzt mit kameradschaftlichem Du Claus. Dem Ziel brachte uns das aber nicht näher.

In so einem Moment hilft nur noch unsere süße Allzweckwaffe Petronella. Sie macht solche Verhandlungen nicht ungern, denn als sie noch nicht verlobt war, hatte sie bei einem unserer Streits mit der Telecom Italia einen kalabresischen Sachbearbeiter am Ohr, der sehr charmant war und nach dem geschäftlichen Scharmützel unbedingt ihre private Telefonnummer wollte. Diesmal stellte sich heraus, dass Domenico aus Neapel stammte (vielleicht habe ich ihn deshalb nicht so gut verstanden?...), und da Petronella das Licht der Welt am Hafen von Pozzuoli erblickte, gab es auf der kostenfreien  numero verde erst einmal familiär dialektisches Genuschel ehe die beiden zur Sache kamen:

Es ging letztlich darum, dass aus Gründen des Datenschutzes zum postalischen Übersenden der neuen Tarifverträge die Bestandsdaten überprüft und bestätigt werden mussten. Das geschehe, indem wie beim Notar die einzelnen Paragraphen vorgelesen und vom Kunden bestätigt werden müssten. Wer in Deutschland schon mal einem Notar beim Vorlesen eines Vertrages gelauscht hat, weiß, dass es bei dem rekordverdächtigen Gebrabbel keine Chance auf Verständnis gibt. Also ließ ich den Elektro-Sermon über mich ergehen und antwortete auf die Frage:"Confirma?" - (In der Hoffnung nicht tausend napolitanischen Schwestern und Cousinen von Domenico die Ehe zu versprechen) brav mit: "Confirmo".

Uff, geschafft!

Denkste! Kaum war Petronella ihrem Filius das Mittagessen kochen gegangen, kam ein erneuter Anruf. Diesmal eine weibliche Stimme: Sara. Domenico habe die Kundennummer verdreht und bei der Abhörung des codice fiscale kein confirmo erhalten... Also die gesamte fünfminütige Prozedur noch einmal.

In der Nacht sprach die zweitbeste Ehefrau von allen wiedermal im Schlaf und fragte mich, ob ich ihr nicht doch mal untreu gewesen war. Da ich selbst nicht ganz wach war und sie auch genuschelt hatte, sagte ich nur:"Confirmo".

Ach, das war aber ein fader Schluss-Gag. Ich habe einen besseren:
Die Italiener kennen tausende von Witzen, in denen sie sich über die deutsche Bürokratie lustig machen...


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