Donnerstag, 17. Mai 2012

Ach Europa!

Auf der Burg einfach so zu tun, als gäbe es den Rest der Welt nicht, ist doch recht verlockend; gerade in der Mai-Ruhe bevor die Pfingstferien das alte Gemäuer wieder beleben. Aber Satelliten-Schüsseln auf den Dächern und XXXL-Glasfaser-Internet-Kabel verbinden uns eben doch mit der Unrast in krisenerschütterten Tagen. Da fällt es schwer, vom blühenden Ginster auf dem nach ihm benannten Pass zu schreiben oder von den Laub-und Blüten-Tunneln zu schwärmen, die sich über den kurvenreichen Sträßchen hier schließen.

Heute wäre ja Gelegenheit für einen Brückentag. Das war immer ein Anlass für Kinder und Enkel ihre Großeltern und Urgroßeltern hier oben zu besuchen. Vermutlich ist es derBenzinpreis, der aktuell an der 1,90-Euro-Marke kratzt, der sie abhält. Aber die hundertjährigen Zwillinge sind zum Beispiel ins Altersheim gegangen, und Francesco, der 75jährige, der sich noch im vergangenen Jahr nicht davon abhalten ließ, mir beim Schleppen zu helfen, geht nicht eimal mehr mit seinem Hündchen aus. Andere haben den Winter nicht überlebt. Frühjahrstypisch hören wir die Sterbe-Glocke von San Giovanni häfiger als sonst. Oder sind wir nur sensibler geworden? Zudem bläst bei klarster Sicht ein kalter Maestrale...

In Thomas Manns Zauberberg überfällt ja Mynheer van Peeperkorn mitten im kurhäuslichenWohlergehen diese schreckliche Vision vom bevorstehenden Welt-Unheil.

Ich möchte mir nicht später den Vorwurf machen, etwas übersehen oder verdrängt zu haben, deshalb werde ich in diesem Blog ausnahmsweise noch einmal politisch - obwohl ich das sonst auf das "Glashaus" beschränke:

In der Griechischen Mythologie passiert aus heutiger Sicht kurioser Weise folgendes: Zeus verwandelt sich in einen Stier oder Bullen, um die begehrte Europa zwecks anschließenden Vernaschens zu entführen. In den bildlichen Darstellungen reitet die Holde stets verzückt auf dem ausufernden Monster. Der eigentliche Akt bleibt sodomistischen Phantasien überlassen...

In unserer entmystfizierten Jetztzeit schaut das Wahlvolk hilflos dabei zu, wie diese schöne Idee Europa seit Jahren weiter ungehindert von dem Börsen-Bullen vergewaltigt wird, und ausgerechnet den Griechen wird der tragische Part als Totengräber angediehen. Das kann doch kein Zufall sein.

Das Tragische am Menschen ist, dass er nicht lange genug lebt, um ein geschichtliches Langzeit-Gedächtnis zu entwickeln. Dabei kann man heute ins Internet schauen, um innerhalb einer halben Stunde festzustellen, dass von der Eurokrise betroffene Staaten (von Nationen möchte ich gar nicht reden, denn die haben sich ja mitunter gar nicht zusammengefunden) vor gar nicht langer Zeit durch Blutbäder gegangen sind, um Tyranneien  abzuschütteln. Was passiert denn in Griechenland, wenn man es der eitlen Selbstgefälligkeit ihrer Sozialisten  durch Ausschluss aus der europäischen Gemeinschaft überlässt? So eine griechische Unregierbarkeit hat schon einmal jahrelang für eine mehr als kafkaeske Militär-Diktatur gesorgt. Und heute hat Griechenland dank der Waffenlieferungen, mit der es sich unter anderem auch verschuldet hat, eine der modernsten Streitmächte. - Gleich neben der ebenfalls hochgerüsteten Türkei, die wirtschaftsstark in die Union drängt...

Das italienische Nordsüd-Gefälle hat auch schon mal für radikale Potenziale gesorgt. Und erinnert sich vielleicht noch einer, wie lange Spanien gebraucht hat, um sich von Franco und den Bürgerkriegsfolgen zu erholen?

Das kann doch alles heute nicht mehr passieren, werden die meisten sagen. Doch, es kann von einem Tag auf den anderen passieren, wenn die "Idee Europa" nicht mit allen Mitteln geschützt wird.

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