Montag, 28. Mai 2012

Flüchtige Nachbarn

Es ist doch komisch, dass wir uns oft nur um unsere unmittelbaren Nachbarn kümmern, wenn etwas passiert. Es ist jetzt zwei Jahre her, da ist einer von ihnen mit Volldampf an sein Eingangsportal gekracht und lag dann scheintot auf der Piazza. Der andere, dem im Dämmerlicht ein Jahr später ähnliches passierte, blieb bei Bewusstsein, war aber für einen Augenblick gelähmt. Beiden wollte ich natürlich erste Hilfe leisten, aber dazu musste ich natürlich erstmal mehr von ihnen wissen. Da gibt es ja zum Glück das Internet, und natürlich hatten sie viele, viele Einträge im Wikipedia:

Sie neigen zum Rasen und sind gerne mit Tempo 200 unterwegs.
Sie können selbst als Erwachsene nicht auf eigenen Füßen stehen.
Sie fallen gerne mal in künstliche Ohnmacht, um abzuwarten, was mit ihnen geschieht.
Wer ihnen hilft, bleibt in Erinnerung.

Also, den ersten habe ich die vier Treppen zu unserer Terrazza hochgeschleppt und ihm während seiner Akinese mit dem Daumen sanft über die Stirn gestreichelt, damit er meine guten Absichten erkennt. Er hat sich dann - als er wieder zu sich kam - an meinem Arm hochgezogen und an meine Schulter geklammert, bis er wieder völlig klar war. Dann hat er sich aber direkt über die Brüstung gestürzt.
Der zweite hat es gar nicht erst mit Akinese versucht, weil die Dunkelheit schon nahte. Er robbte auf dem Bauch von mir fort, bis er an der Treppe zur Piazza war. Dann stürzte auch er sich hinab.

Der schlaue Leser hat es natürlich schon längst erraten. Es handelt sich um unsere gefiedereten Nachbarn - die Mauersegler. Sie sind eine der erstaunlichsten Spezies in dieser an Erstaunlichkeiten so reichen Gattung. Bei den 40 Gramm schweren Flitzern, von denen bei einigen schon ein Lebensalter bis zu 20 Jahren nachgewiesen wurde, werden von Jahr zu Jahr neue außergewöhnliche Fähigkeiten festgestellt. Erst mit modernsten Forschungsmethoden kommt die Ornithologie dem Mauersegler auf die Schliche, weil er fast sein ganzes Leben in der Luft verbringt und nur zum Brüten und zur Brutpflege kurz bodenhaftig wird. Er ist ein Zugvogel, der den Winter in Afrika verbringt und sich ab spätem März in gewaltigen Schwärmen nach Europa aufmacht, wo er sich gegen Mai dann aufteilt und schwarmweise zu seinen angestammten Nistplätzen zurückkehrt...

Über der Burg ging es in den vergangenen Jahren bei ihren Nahrungsflügen zu, wie im Luftraum über Frankfurt. Allabendlich von Mai bis August waren die Flugmanöver und das Zischen ihrer Sturzflüge unsere Abendunterhaltung. Heuer aber  sind es bedeutend weniger. Ist es der Klimawandel, der manche immer häufiger zu Standvögeln macht? Oder die zunehmenden Unwetter, die sie möglicherweise in ihrem einzigartigen Flugschlaf überrraschen? Jedenfalls von den bis zu acht Brutpaaren rund um unsere Piazza sind in diesem Jahr nur drei zurückgekehrt. Darunter aber die Erretteten oder aber zumindest ihre Nachkommenschaft...

Dafür sind die Käuzchen zurück, und seit neuestem besiedeln auch Tauben und Nachtigallen wieder den Borgo. Im Gewölle von der Größe, wie es nur eine große Eule  oder gar ein Uhu auswürgen kann, glaubte die zweitbeste Ehefrau in einer Gasse auch die Federn eines Mauerseglers ausgemacht zu haben. Das könnte natürlich auch ein Grund sein. Aber wahrscheinlicher ist, dass bei Renovierungen immer mehr Mauerritzen durch Verputzen verschwinden. An unserer Piazza allerdings nicht. - Und trotzdem sind nur noch drei  der angestammten Brutplätze besetzt...

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