Montag, 5. Oktober 2020

Traffico Publico Locale

Den letzten Post  am Freitag konnte ich gerade noch frei geben, da begann ein Gewitter von einer Dauer und Heftigkeit, wie wir es in den zwei Jahrzehnten hier oben noch nie erlebt hatten. 21 Stunden Orkan, Stark-Regen und krachend anhaltendes Donnern und Blitzen mit immer wieder länger ausfallender Strom-Versorgung. Gut, dass wir fast überall hermetisch schließende Fenster haben. Dennoch ergoss sich durch das obere Giebelfenster ein Wasserschwall ins Treppenhaus, dem wir nur mit mehreren Lagen Badehandtüchern abdichtend Einhalt gebieten konnten. "Walle, walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe..." wie unser allseits geschätzter Geheimrat in seinem "Zauberlehrling" so trefflich dichtete. Sagen wir mal so, dass der Zweck diesmal wohl der war, uns alle daran zu erinnern, dass der Klimawandel eben nicht "hearsay" ist, wie ihn der "beste US-Präsident aller Zeiten" (BUSPAZ) im gleichen Maße leugnet wie Corona...

Weiter westlich, rund um Nizza und im Tal der Var gab es Tote und vermisste als ganze Häuserzeilen fort gerissen wurden und der öffentliche Nahverkehr komplett zum Erliegen kam. Da waren wir mit einigen zerschmetterten Blumentöpfen und runter gerissen Dachabdeckungen wohl noch glimpflich davon gekommen. Die Piazza sah mit alle den abgerissenen Blühten und Blättern zwar aus wie nach dem Straßen-Karneval, aber das war mit vereinten Kräften schnell beseitigt.

Die langen Aufenthalte auf der Piazza haben sich für dieses Jahr sowieso schon erledigt, weil die Sonne mittlerweile so tief steht, dass sie tagsüber im Geviert allenfalls nur noch kleine geometrische Flächen erzeugt.

Für uns ist das kein Problem, denn jetzt schlägt die Stunde unserer Dach-Terrasse. Nun dürfen wir auch mal ein wenig direkte Bestrahlung an uns heran lassen. Um unseren medikamentös  ausgebremsten Sonnen-Hunger zu befriedigen, machen wir jetzt oben  gerne Marenda - wie die Brotzeit hier heißt.

Den Windsbräuten  und Donnergöttern sei Dank, dass das Unwetter nicht - wie vorher gesagt - bis heute gedauert hat. Offenbar verbrauchte es all seine Kraft auf einmal, sodass sich am späten Samstag schon wieder der azurblaue Himmel über uns wölbte.

Als ich kurz vor zwei oben war, bot sich mir wieder einmal ein Schauspiel, dass ich länger nicht beobachten konnte: Der oben schon erwähnte, öffentliche Nahverkehr im Talkessel lässt sich von unserer Terrasse aus nämlich auf besonders niedliche Weise beobachten. Da kommt ein wenig Modelleisenbahn-Feeling auf, wenn der Linien-Bus kleiner als eine Ameise aber unter dem Getöse seiner bis hier laut zu hörenden Hupe die Serpentinen zu dem im Licht geborenen Örtchen visavis erklimmt. Das hat so etwas wie bei Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotiv-Führer auf der Insel mit den zwei Bergen: immer wieder verschwindet der optische Winzling auf seinem Zickzack-Kurs in den Laub-Tunneln. Ihn wieder aufzuspüren, ist eine Art Sport, bei dem man aber Hilfe von seinem in der Sonne silbern blitzenden Dach  und die Ortung des Signalhorns bekommt.

Punkt zwei ist er in der oberen Gasse des Örtchens verschwunden. Dann herrscht für die vorgeschriebene Wartezeit absolute Mittagsruhe. Wenig später ertönt dann zweimal die Hupe für die bevorstehende Abfahrt. Dann geht es langsam aber mit dem gleichen Getöse vor jeder Kurve mit nur einem Halt wieder hinunter zum Impero.

Vorbildlich: Bevor die
Fahrgäste einsteigen
dürfen,wird  besonders
 hier in Ligurien
alles gründlich desinfiziert
Da schweifen meine Gedanken aber schon ab, indem ich versuche, Sinn und Unsinn des ÖPNV (wie er bei uns neuerdings nur noch abgekürzt bezeichnet wird) mit mir selbst zu erörtern. Die Busse, die hier im Talrund verkehren, sind - wie ich gesehen habe - meist leer. Auch unter dem Glashaus in München fahren riesige Ziehharmonika-Busse bis spät in die Nacht, in denen kurz vor ihrer Endhaltestelle an der U-Bahn kein Fahrgast sitzt. Aber auch der imperianische Fahrplan ist natürlich bindend, obwohl sich jeder bei der niedrigen Frequenz ausrechnen kann, wieso selbst die Alten, die in die Stadt hinunter wollen, lieber bei Bedarf eine private Mitfahr-Gelegenheit organisieren. Mit einigem Abstand zweimal bergauf und zweimal bergab pro Tag reichen auch  auf unserer Talseite mit  bis hinauf zum Pass deutlich mehr Ortschaften  nicht aus. Und wieso überhaupt dafür zahlen, wenn die Nachbarn einen kostenlos mitnehmen? Da wird sich dann auch die Heimfahrt irgendwie organisieren lassen.
Der Bus wird nur im Notfall genommen, wenn es zeitlich gerade passen sollte.

Dreh- und Angelpunkt für die
Fern- und Überland-Busse
sowie die "Pullmans"´und "Flixe"
samt des TPL
ist die Piazza Dante

Il Traffico Publico Locale ist in sozial ausgerichteten westlichen Demokratien eine derart verfassungsgemäße Verpflichtung, dass in reichen Ländern schon darüber nachgedacht wird, ihn gänzlich kostenfrei anzubieten. Wie Luxemburg das schon entschieden hat, und viele deutsche Gemeinden es während der Corona-Lockdowns auch bereits praktiziert haben. 

Gerade jetzt aber während wieder allerorts ansteigender Fallzahlen streikt das Personal wegen schlechter Bezahlung und unzumutbaren Arbeitszeiten. Gleichzeitig verwaisen über Land in ganz Europa Haltestellen, die kaum oder keinen permanenten Bedarf mehr haben. Öffentlicher Personen-Nahverkehr ist eben extrem teuer und unternehmerisch absolut undankbar...

Ist individuelle  Privatisierung, wie sie in armen Ländern mit geringerer Motorisierung unter anderen Zwängen scheinbar funktionierend praktiziert wird, überhaupt bei unserer strengeren Rechtslage denkbar. Schon gegen Uber gab es ja in Deutschland massive Proteste gefolgt von eingeschränkten Geschäftsbedingungen. Aber für solche Vermittler bedarf es ja auch schnelles, flächendeckendes Internet. Ganz sicher werden Sammel-Beförderer, wie ich sie weltweit benutzt habe, niemals unserem Sicherheitsbedürfnissen genügen. Ob Dolmusch (Türkei), Bemo (Indonesien), Jeepney (Philppinen) oder TukTuk (Indonesien) - ihre Betreiber wollen auf niedrigerem Niveau ja auch unterm Strich etwas Geld übrig behalten, das nicht selten auch bei der Instandhaltung an Sicherheit eingespart wird.

Als der Bus unten über den Fluss fuhr, war ich mit mir immer noch "uneins". Tatsache ist, dass nur eine eingeschränkte individuelle Mobilität unser Klima verbessert. Aber würde ausgerechnet ich, der in den zwanzig Jahren hier nicht einmal den TPL benutzt hat, damit anfangen?...

https://www.youtube.com/watch?v=uDEsBHnpn6k


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen