Mittwoch, 7. Oktober 2020

Ich kann's nicht ändern...

Ein paar Tage noch, dann sind meine Frau und ich 45 Jahre verheiratet. Hätten wir vorher nicht so lange in einem "gschlamperten Verhältnis" gelebt - wie man München einst sagte - dann hätten wir vielleicht schon die "Goldene" gefeiert...

In den Familien meiner Eltern hat sich nie jemand scheiden lassen, dabei gab es in denen genug Lebe-Damen und Hallodris, die aber immer wieder die Kurve gekriegt haben. Das könnte auf eine genetische Veranlagung hindeuten, ist aber eher wohl echtes Savoir Vivre im Sinne von leben und leben lassen gewesen.

Zündstoff war in unserem Zusammensein schon zu Beginn reichlich gegeben. Nicht nur, dass wir uns vom ersten Kuss an so heftig stritten, dass der Freundeskreis sich sicher war, das hält nicht! Nein, dann zog das bei den "Englischen Fräulein" von Nonnen unterrichtete so brav katholisch erzogene Töchterlein auch noch in Sünde - also ohne Trauschein - mit einem Agnostiker zusammen. Die 1968er Folge-Jahre haben da schon drastische Spuren in der Moral hinterlassen, die andererseits auch in dem Spruch gipfelten: Wer zweimal mit der selben pennt, gehört schon zum Establishment. Wir zwei waren zwar politisch aktiv aber niemals radikal; sie in der SPD, ich bis zur Selbständigkeit in der Gewerkschaft HBV.

Wenn uns Jüngere heute fragen, wie man es so lange miteinander aushält, dann antworten wir - wohl wissend, dass es albern und bisweilen zynisch aber auch undankbar ist - mit Begriffen wie Lethargie, Phlegma oder Resignation. Es ist uns wohl einfach peinlich, dass wir es bis heute selbst nicht beantworten können. In Wahrheit sind wir unendlich dankbar, dass es trotz vieler Stromschnellen immer wieder geklappt hat und immer noch klappt, das Ehe.Schiff auf Kurs zu halten. Um das oft inflationär verkitschte L-Wort zu vermeiden, ist es wohl tatsächlich eine Mischung aus permanenter Arbeit an der Beziehung und dem darüber gebietenden Respekt, die Freiräume, die der Partner sich nimmt oder auch nehmen muss, niemals einzuengen.

Und man braucht gemeinsame Sprüche, die diese signalisieren. Im Alter werden es immer mehr, mit denen wir uns durch Wiederholen gegenseitig über uns lustig machen.  Der aktuelle - wegen des Besorgnis erregenden Zustands der Welt, der uns gerade in unserer Hilflosigkeit  noch enger aneinander bindet, lautet keinesfalls fatal resignierend sondern eher sachlich faktisch: 

"Ich kann's nicht ändern..."

Weil wir unsere eigentliche Hochzeitsreise aus "terminlichen Gründen" damals vorweg nehmen mussten, sind wir im Verlauf der Ehe auf eine besondere Idee gekommen. Andere erneuern im Alter ihr Eheversprechen, wir machen alle fünf Jahre aus Anlass unseres Hochzeitstag eine weitere "Hochzeitsreise".

Diesmal fällt sie wegen Corona nicht nur kurz, sondern auch besonders karg aus. An diesem Hochzeitstag nämlich reisen wir möglichst vorsichtig mit so wenig potenziell ansteckenden Stopps wie möglich an nur einem Tag ins vom Virus durchseuchte München zurück. Während ich diesen Post schreibe, vermeldet das RKI 2828 neue Infektionen. Tendenz weiter steigend. Der Bedarf an Intensiv-Betten in den Kliniken wüchse gleichzeitig wieder bedrohlich.

"And so it goes" hätte mein Wonne-Autor Kurt Vonnegut wohl diesen Post beendet.
Ich kann's nicht ändern, ende ich.

Dern Abschiedsbrief von der Burg poste ich ausnahmsweise am kommenden Samstag. 

Freiräume: Auch an einem Hochzeitstag braucht Frau ein paar Momente allein für sich.
Die fürsorglichste aller Ehefrauen vor fünfzehn Jahren auf der Reichenau am Bodensee.
Foto: Claus Deutelmoser


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