Mittwoch, 23. Juni 2021

Selbstbestimmt

Wäre ich ein Schreiberling aus vergangenen Macho-Zeiten, hätte ich meinen Post womöglich: "Die lustigen Witwen von Castello" betitelt. Aber erstens vermag ich nicht einzuschätzen, wie schwer der Verlust eines möglicher Weise noch so herrschsüchtigen Lebenspartners auf der zurück gebliebenen Hälfte lastet. Und zweitens bin ich ein Mensch, der gut allein sein kann, weil er es eben noch nicht ist...

Gestern kreuzte die Bürgermeister-Witwe von nebenan die Piazza. Sie ist nun mit neuer Hüfte schon ein Weilchen in die Achtziger unterwegs und führt ihr selbst bestimmtes Leben hier oben strikt ohne Unterstützung. Wenn ich  anbiete, ihr mit dem Einkaufs-Rollwägelchen die Stufen hoch zu helfen, weist sie mich immer freundlich aber strickt zurück. Sie könnte es sich bei ihren Kindern unten in der Stadt in einer ihrer Immobilien gemütlich machen - denke ich. Stattdessen düst sie mit ihrem Kleinwagen, der ein weit weniger rüstigen Eindruck macht als sie, beinahe täglich zum Kartenspielen in den Capo Luogo hinunter oder fährt zu ihrem Horto, von dem sie uns - je nach Saison - einen Teil der Ernte vorbei bringt. sie fehlt auch bei keinem "cena in piazza" mit der internationalen Nachbarschaft.

Noch mussten wir jedes Jahr Tische anstückeln.
Aber in diesem Jahr wird es wohl Corona bedingt schwieriger,
die Nachbarn fürs ein neuerliches "cena in piazza" zusammenzutrommeln

Georgina ist ebenso selbstbestimmt, hält aber nichts von freundschaftlichen Kontakten, die ihr umtriebiger Nico einst geknüpft hatte. Sie nennt sich stolz "una sola", wenn man sie auf einer ihrer weiten Fuß-Runden um den Borgo trifft und nach ihrem Befinden fragt. Sie hält in Treue fest zu ihren ebenfalls verwitweten Leidens-Genossinnen von der oberen Piazza und befeuert dort gerne die Gerüchte-Küche, in der nicht selten auch wir köcheln.

Man könnte es als Gegebenheit der Natur ansehen, dass häufiger die Ehefrauen alleine zurück bleiben, aber sie sind eben auch in der Lage selbst bestimmt hier oben weiter zu leben, während, die  Witwer meist die Burg verlassen. Was mich zu der ehemaligen Trägerin buntester Jogging-Anzüge bringt, die dem "Burgfunk" nach auf ihrem Lebensweg derart viele Männer verknuspert hat, dass sie jetzt nur noch einen bildschönen, geschmeidigen Kater und eine weißes Kaninchen in ihrer Nähe duldet. Ihren letzten Galan hat die mehrfache Urgroßmutter und "Clan-Chefin" aus ihrem Bett verbannt, als der sich in ihre Arbeit als Wirtin der Gemeinde-Bar einmischen wollte.

Er wird vor allem dem
Kulturbetrieb im Borgo fehlen:
In memoriam Ugo Tortello
Natürlich droht unserer Frazione erneut das Aussterben, wenn der Leerstand nicht bald durch junge Mieter oder Eigentümer ausgeglichen wird. Aber so, wie der Lauf der Dinge in der Vergangenheit war, wird der Immobilien-Markt die Zukunft hier von selbst bestimmen. Im Moment gibt es in ganz Italien einen eindeutigen Käufer-Markt, aber bezahlbarer Wohnraum in den Städten am Meer wird auch immer knapper... Ein junger Mann aus Albenga hat sich für später schon mal an der unteren Treppe das frisch renovierte "Puppenhaus" neben Georgina gesichert

Schade, dass ich es nicht mehr erleben werde, ob mein Enkel eines Tages hier in einer hoffentlich wieder wachsenden Multi-Kulti-Gemeinde seinen Kindern, dieses einzigartige Leben, wie wir es hier hatten, dann auch vermitteln wird...

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