Montag, 23. Mai 2016

Der Navigator

Mit "Shogun" hat James Clavell wohl einen der kultigsten Abenteuer-Romane des ausgehenden 20. Jahrhunderts verfasst. Auf einmal war japanische Kriegs-Kultur in aller Gedanken. Der englische Held, ein Seefahrer und Navigator, den seine japanischen Freunde und Feinde "Anjin-san" nannten, war Seefahrer aber vor allem Navigator, was in der Zeit unentdeckter Seerouten Macht und möglichen Reichtum versprach...

Als ich noch jünger war, dachte ich von mir selbst gerne als Navigator, weil ich mich selbst und andere aus manch prekärer Situation befreien konnte. Allein dadurch, dass ich Landkarten in meinen Kopf gespeichert hatte.

Das muss ich vorweg sagen, bevor ich das Drama unserer gestrigen Anreise schildere. Seit die ehemals "Zweitbeste aller Ehefrauen" sich anschickt, die Nummer Eins aller nervigen Beifaherinnen zu werden, überlasse ich ihr das Steuer und übernehme die Rolle des Navigators (ohne Navi natürlich, weil das gibt es in ihrer anderthalb Jahrzehnte alten Schrottkiste nicht!!!). Da sie obendrein zur Bequemlichkeit neigt, verzichtet sie mithin auf alle eigenen Wahrnehmungen. Heißt - wenn ich nichts sage - ignoriert sie Wegweiser, längst bekannte Abzweigungen und jegliche Eigenverantwortung für die Annäherung an ein Ziel. Hinzu kommt, dass sie mit zunehmenden Alter darauf besteht, die Tagesreise durch eine Nacht in einem romantischen Hotel zu unterbrechen.

Wer sucht den Stopover? Natürlich der Navigator! In alter Arroganz prägt er sich das Anreise-Diagramm ein. Auf das GPS und die Mail mit den Koordinaten im Smartphone kann er dann leicht verzichten. Muss er auch, weil der Akku fast leer ist. Also folgt er seinem Talent, wissend, dass östlich von Lugano gleich die  italienische Grenze kommt. Er folgt sogar dem empfohlenen Schleichweg in seinem Kopf. - Bis zur Sperrung der Ufer-Promenade in Lugano Paradiso. Ein Marathon findet statt, und wir fragen den Mann, der für die Sicherung der Sperrung da steht:
"Wie kommen wir denn jetzt nach nach Valsolda?"
"Auf diesem Weg doch gar nicht, das liegt am Südende des Sees."
Ich will es nicht glauben, aber die Frau am Steuer meint:"Der wird es ja wohl besser wissen als du."
Mein Handy spielt zwischen all den WLANs der Hotels verrückt. Das GPS frisst die letzte Spannung. Wir fahren also Richtung Süden. Wenig später treffen wir eine junge Frau am Straßenrand, die einheimisch aussieht. Der Navigator spricht sie in seinem besten Speisekarten-Italienisch an. Sie antwortet erst in Schwizerdütsch und wechselt dann ins Hochdeutsche. Ja, der Ort läge tatsächlich am südlichen Ende - ganz in der Nähe bei Chiasso. Schon im Italienischen.

Es folgt eine zauberhafte Fahrt rund um jede einzelne Einbuchtung des südlichen Lago Lugano. Wir kommen Chiasso immer näher, aber von einem Valsolada ist nichts zu sehen. An Bord kann der Navigator nur auf Karten-Material in viel  zu großem Maßstab zurück greifen. Da treffen wir auf zwei "Polizotti" einer Straßen-Streife, die auf zu schnelle Motorrad-Fahrer wartet. Uns wollen sie ohne näheres Interesse durchwinken, aber wir beharren auf ihre Rolle als Freund und Helfer. Der eine Kollege befragt den Polizei-Navi der andere schreibt uns fein säuberlich die nächsten Orte auf, durch die wir müssen, um unser Ziel zu erreichen:
"Sie sind am falschen See. Sie müssen rüber zum Comer See!"
Der Navigator ist fix und fertig. Wir landen im wunderschönen Bergland oberhalb vom Comer See, das wir noch nicht kannten. Wir landen auch in einem Ort der mit Val beginnt, aber der auch durch Zauberhand kein Hotel am See vorzeigen könnte.
Kurz vor der Scheidung wiederholt die Frau am Steuer ihre Forderung, der Navigator solle einfach das Hotel anrufen und nach dem Weg fragen. - Was einigermaßen schwierig ist, wenn kein Ort wirklich dingfest gemacht werden kann. Am Ortsrand von Como also rufe ich das Hotel an.
"Was machen Sie denn am Comer See?" fragt die Signora vom Empfang. Wir sind doch gleich bei Lugano am Nordufer des Sees."
Wir also auf der Autobahn zurück, und nun ergreift der Navigator wieder die Initiative, indem er das Anreise-Diagramm in seinem Kopf abruft. 25 Minuten nach dem Anruf fahren wir auf meiner ursprünglichen Route - der Marathon auf der Uferpromenade von Lugano ist längst vorbei - in die Garage unseres gebuchten Hotels in Valsolda. Es ist noch niedlicher als erwartet, das Abendessen auf der Terrasse am See hat Gourmet-Qualitäten. Der Wein ist wesentlich preiswerter als auf dern Schweizer Seite. Deshalb trinken wir vor lauter Romantik zuviel von ihm.

Und da sagt meine große Liebe das, was sie immer zur Nummer Eins gemacht hat:"Was für ein traumhafter Abend, was für eine wunderschöne Fahrt. Wie wären vielleicht niemals um den ganzen See gefahren. Das hat die zwei Stunden Umweg doch gelohnt - oder?"

Dennoch der Stachel saß tief im  Fleisch des Navigators. Heut morgen wollte er wissen, wieso das Anreise-Diagramm nicht durch Lugano direkt führte.

Die Antwort: Die Zick-Zack-Wegweisung zur Autobahn kostete uns durch Lugano exakt eine halbe Stunde, und zehn Minuten später waren wir erst an der empfohlenen Autobahn-Ausfahrt...

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